Freispruch. Das war mein erster Gedanke, schon vor der Ausstrahlung von „Terror – Ihr Urteil“, und ich war gewillt, ihn konsequent durchzuhalten. Warum sollte man diesen Mann, der in einer Dilemmasituation das einzig Vernünftige getan hat, verurteilen? Am Ende war ich anderer Meinung: Wenn wir es mit unserer Verfassung ernst meinen, müssen wir deren Grundprinzipien, auch wenn es ungerecht erscheint, durchhalten.

Schlimm ist es jedoch, wenn wir nun nach einer banalen Abstimmung eines Fernsehpublikums die Entscheidungen unseres höchsten Gerichtes in Frage stellen. Claus Kleber widmete sich dem fiktiven Thema exklusiv in einem Beitrag im „heute journal“ (ab ca. 00:37). Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Di Fabio muss sich im Interview mit Kleber für das Urteil rechtfertigen, weil eine unbestimmte Menge an Menschen auf Grundlage einer Mischung von Bauchgefühl, Mitgefühl und Aufrechnung anders abgestimmt hat als einst das Bundesverfassungsgericht. Dass alleine das Theaterstück, respektive das Fernsehspiel, als Entscheidungsgrundlage auf schiefer Ebene steht, hat Bundesrichter Thomas Fischer in seiner ZEIT-Kolumne (gewohnt langatmig), aber deutlich herausgestellt:

Es ist komplett falsch, wenn Schirach durch Weglassen suggeriert, für die Entscheidungen zwischen Rechtmäßigkeit und „Gewissen“ halte das Recht keinerlei Maßstäbe bereit. […]

Weil das Stück von Schirach die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld fast vollständig unterschlägt, unterschlägt es auch die Tatsache, dass die Lösung des Dilemmas keineswegs nur „jenseits des Rechts“, also irgendwo im Reich der höchstpersönlichen, beliebig „abstimmbaren“ Moral gefunden werden kann, sondern dass es gerade das Recht ist (und sein muss), das sich die am weitesten gehenden und überzeugendsten Gedanken zu solchen Problemen gemacht hat. […]

Über die Schuld und Verantwortung des Piloten Koch kann man also nach rechtlichen Maßstäbenentscheiden, ganz ohne dass man deshalb anordnen müsste, der Staat dürfe die Tötung seiner Bürger anordnen, wenn das „Prinzip des geringen Übels“ es gebietet, oder das „Gewissen“ des Herrn Ministers.

Kleber nimmt trotzdem das Votum der Zuschauer als Maßstab und legt in Richtung Di Fabio nach:

„Ist die Debatte in Deutschland mit dieser Entscheidung des Gerichtes endgültig erledigt? Ist die Frage jetzt so entschieden wie nur 13% es gestern sahen?“

Mit dieser Frage stuft Kleber Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf  Ramschniveau herab, als wäre eine gut und lange überlegte Entscheidung der höchsten Richter im Staat mit einer beliebig entschiedenen „Ja / Nein“-Abstimmung in einem ZDF-Studio gekippt, für die es schlicht genügte, anderthalb Stunden lang herumzumeinen.

Dabei haben die Richter klug entschieden, einen Abschuss nicht zur angeordneten Pflicht  zu machen: Wenn der Pilot nicht geschossen hätte, das Flugzeug tatsächlich in das Stadion geflogen wäre und tausende Tote die Folge gewesen wären, müsste man ihn dann nicht, wenn es diese Pflicht zum Abschuss geben würde, verurteilen, weil er 164 Menschen nicht getötet hat? In was für einem Staat lebten wir dann? Im anderen Fall gilt das, was Fischer deutlich macht: Zwischen Schuld und Unrecht wird unterschieden. Aber der Staat darf  nicht über das Lebensrecht seiner Bürger entscheiden.

Gerhard Baum hat in der Diskussionsrunde bei „Hart aber fair“ deutlich gemacht, wohin das Aufweichen des Grundsatzes der Menschenwürde führen kann: Denkt man das Prinzip der Aufrechnung von Menschenleben konsequent weiter, dann gelangt man irgendwann logisch zu Folter (natürlich nur für gute Zwecke und zur Rettung Unschuldiger!), Todesstrafe oder zu Präventivkriegen. Auf den Philippinen werden übrigens gerade tausende Menschen von Killerkommandos abgeknallt. Angeblich, weil sie mit Drogen dealen. Und dient das nicht auch bloß der Rettung anderer, womöglich tausender Menschenleben?

Wollen wir in einem solchen Staat leben? Und wie lange wird es dann dauern, bis wir wieder anfangen, wertes gegen unwertes Leben aufzurechnen?

Wirklich?