Isch 'abe gar kein Untertitel...

Die neuen alten Kritiker

Der Beruf des Kritikers ist in seiner Ambivalenz kaum zu übertreffen: Einerseits ist das Prädikat „Kritiker“ äußerst prestigeträchtig, steht es doch für besondere Kenntnisse auf einem ausgesuchten Fachgebiet und die Fähigkeit, für weniger beschlagene Menschen Qualitäten einschätzen zu können. Andererseits wird das Kritisieren auch verachtet. Oft wirft man Kritikern vor, dass sie, zwar theoretisch kenntnisreich mäkelnd, das kritisierte Tun aber doch praktisch meist nicht besser könnten als die von ihnen Kritisierten, sodass ihre Kritik als hochtrabend, eitel und überheblich einzustufen sei. Doch muss auch der größte Kritikerkritiker zugeben, dass sich über Omas Sauerbraten ganz trefflich richten lässt, auch wenn man selbst kein zertifizierter Sauerbratensternekoch ist, und letzten Endes greifen wir alle nur zu gerne auf die Urteile von Kritikern zurück: Sei es bei der Auswahl guter Literatur, neuer Filme, guter Restaurants, der Einordnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder der Einschätzung des aktuellen politischen Diskurses.

Überall „Islamkritiker“

Und während der Rubel stürzt und der Ölpreis fällt, feiert der Begriff des „Islamkritikers“ gerade Hochkonjunktur. Angestoßen durch die Pegida-Demonstration in Dresden liest man heute in der Presselandschaft von einer „islamkritischen Bewegung“ (z. B. in der ZEIT). Hört man sich dann an, was die Demonstranten auf der Straße salbadern1, dann bekommt man aber doch schnell Zweifel an der Expertise dieser Kritiker, deren Kenntnisse muslimischer Kultur sich wohl allzu oft darauf beschränken, auch mal einen Döner gegessen zu haben.

Bedauerlicherweise ist es den rechtsverrückten Anti-Flüchtlingsdemonstranten anscheinend gelungen, den Begriff „Kritiker“ positiv für sich zu besetzen und das auch so weiterzuvermitteln. Die Tagespresse übernimmt deren Selbstdarstellung unreflektiert und reicht sie an das staunende Publikum weiter. Xenophobe Arschlöcher schaffen es, dass man sie nicht mehr als „xenophobe Arschlöcher“ bezeichnet, sondern sie vielmehr als „Kritiker“ adelt. Das klingt schon schwer nach der von den Ausländerfeinden angestrebten „Mitte“ und wirkt auf schräge Weise fast schon intellektuell.

Besetzte Begriffe

Dass Begriffe im politischen Kampf um Positionen mitunter aggressiv besetzt werden, ist nicht neu. Spannend wird es, wenn man beobachtet, wer in welchen Zusammenhängen welche Begriffe nutzt. Martin Lindner verwies gestern in einem Tweet auf die interessante Beobachtung, dass zentrale Begriffe der Pegida-Rhetorik besonders in ihrer auffälligen Häufung (Patrioten, Islamisierung, Abendland, Europa) nahe bei der Rhetorik des Massenmörders Anders Breivik liegen, dessen Pamphlet in der FAZ schon 2011 attestiert wurde, dass aus dessen Semantik „ein gut erzogenes Kind aus der Mitte der Gesellschaft“ spricht. Dass Breivik-Versteher Pegida feiern, ist nicht überraschend. Auch anderswo ist die Nähe zwischen Pegida und Breivik aufgefallen – einfach einmal googeln.

Ahnungslose Kritiker

Doch zurück zu den Kritikern: Ich wünschte mir ein paar Reporter, die den „Kritikern“ einmal auf den Zahn fühlen und sie mal zum kritisierten Gegenstand befragten. Was denn den Islam kennzeichnet? Wie er ausgeübt wird? Welche Grundlagen der Islam hat? Welche Rolle die Scharia dabei spielt? Was Schiiten, Sunniten, Salafisten oder Aleviten voneinander unterscheidet? Wieviele Menschen in Deutschland den Islam aktiv ausüben? Wieviele Muslime sie denn kennen? Usw.

Ich wäre auf die Antworten all der famosen Kritiker sehr gespannt. Die meisten wissen wahrscheinlich nicht einmal, warum man Ostern feiert.


  1. Obacht, der erste Interviewte ist ein RTL-Mann, der sich als Pegida-Demonstrant ausgibt. 

2 Kommentare

  1. Batti

    Die Wochenshow war schon bei den Demonstranten. Da hast du eine kleine Antwort auf das Niveau der Teilnehmer 😉

    http://www.youtube.com/watch?v=UTo0xfQU1sU

    Besser wird es wohl auch nicht mehr, wenn da Qualitätsjournalismus auftaucht *ggg*

    „xenophobe Arschlöcher“ gefällt mir. Die Einen agitieren, die Anderen laufen stumpf mit. Das find ich am bedenklichsten daran!

    • Hokey

      Habe das Video zur Hälfte geschafft und schlage gerade mit dem Kopf auf den Tisch. Aua! (nicht wegen des Tisches)

      Warten wir ab, wie sich das Ganze entwickelt – die Gegendemonstrationen verheißen Gutes.

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