Isch 'abe gar kein Untertitel...

Eine Leidenschaft für Serienkiller

Verfalle in den Ferien seit Watchever regelmäßig ins Binge-Watching. Binge-Watching ist eine schlimme Zeitverschwendung, noch schlimmer ist aber, was die Serien mit mir anstellen. Es sollte mich nicht wundern, wenn ich demnächst Serienkillern Weihnachtskarten schicke und Drogenbossen mit aufrichtiger Herzlichkeit die Hand schüttele. Diesmal schaue ich Dexter, zuletzt war ja Breaking Bad mein Favorit.

Dexter Morgan ist die Hauptfigur der seit 2006 existierenden, gleichnamigen Serie und führt ein verhängnisvolles Doppelleben: Tagsüber arbeitet er als Forensiker beim Miami Metro Police Departement und untersucht die Tatorte von Mördern und Serienkillern. Wann immer sich jedoch die Gelegenheit ergibt, zieht er selbst als Serienkiller los und folgt seinem Drang, Menschen zu töten – dabei befolgt er jedoch einen Kodex und achtet darauf, nur Menschen zu töten, die ihrerseits andere Menschen auf dem Gewissen haben.

Achtung, ab hier folgen Spoiler.

Fremde Dilemmata zu eigenen

Wie schon bei Breaking Bad mit der Figur des Crystal Meth kochenden Chemielehrers Walter White steht bei Dexter eine böse und unmoralisch handelnde Hauptfigur im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu den oft flacher strukturierten Krimiserien, wo Gut und Böse meist als Gegensätze aufeinandertreffen, werden durch die Betonung des Bösen im Guten jedoch die Dilemmata der Figuren für den Zuschauer erst nachvollziehbar und sogar spürbar.
Der krebskranke Chemielehrer Walter White aus „Breaking Bad“ erkennt, dass sein mittelmäßiges Leben seiner zurückbleibenden Familie kein sorgenfreies Leben ermöglichen wird und strebt, zunächst mit der Verzweiflung des Todkranken, später mit der Unverzagtheit des Gierigen, in die Unterwelt. Aus dem sanften, besonnenen Lehrer Walter White wird ein eiskalter Drogenboss, der seine eigenen bürgerlichen, moralischen Maßstäbe überwinden lernt – dem Zwiespalt zwischen spießiger Familienidylle und dem riskanten Leben eines Drogenbosses aber nicht entgehen kann. Und der Zuschauer fiebert bei dieser Abkehr vom bürgerlichen Mittelmaß mit: Ungeachtet all der in Kauf genommenen Drogentoten, der Mordopfer und dem Ruin der Familie gönnt er White den Aufstieg in der Drogenszene, kostet dessen Siege über menschenverachtende Kontrahenten aus und fühlt mit dem Egomanen Walter White trotz aller Verbrechen, Lügen und Rücksichtslosigkeiten.

Am Staffelende bleibt ein begeisternder Protagonist, der nichts unversucht gelassen hat, der sich aufgerafft, der gekämpft, der in Angst und Schrecken versetzt, der das Mittelmaß abgeschüttelt hat. Die Bewertung des Bösen tritt in den Hintergrund und die Dilemmata Whites, der einen Schüler zum Drogenkochen animiert, der zur finanziellen Sicherung der eigenen Familie andere ruiniert, der zur Rettung des eigenen Lebens andere auslöscht, werden zu eigenen. Der Zuschauer muss sich entscheiden: Steht er auf der Seite Whites oder der Moral – und er entscheidet sich für White.

Die eigene Moral auf den Kopf gestellt

Nicht weniger drastischer ist dieser Effekt bei „Dexter“, wo der Gegensatz zwischen Gut und Böse noch stärker in der Figur angelegt ist, die in Personalunion als Forensiker und als bestialischer Serienkiller aktiv ist. Man ertappt sich dabei, mit dem gefühlskalten Serienkiller Dexter mitzufiebern und sogar zu hoffen, dass er den aufdringlichen und aggressiven Ex-Ehemann seiner Pro-Forma-Freundin endlich außer Gefecht setzt, damit dieses Ars… Gewalt ist plötzlich doch eine Lösung. Andererseits fühlt man auch mit dem armen Teufel von Ex-Ehemann, der sich liebevoll um seine Kinder sorgt und wegen Dexter zu Unrecht im Bundesgefängnis landet. Beim Schauen stellt sich kaum die Frage, wie Dexter mit Situationen umgeht, der ist schließlich ein Soziopath, dem Menschen nichts bedeuten, viel spannender ist die Frage, was im Kopf des Zuschauers vorgeht, wie der die Situation bewertet.
Was offenbart man selbst, wenn man einer störenden, gewalttätigen Figur einen Serienkiller auf den Hals wünscht; wer kann sich ernsthaft gegen die Todesstrafe aussprechen, wenn er eine Folge lang darauf wartet, dass der mit allen Wassern gewaschene, miese Litte Chino, dem das Police Departement nichts nachweisen kann, endlich seine verdiente Strafe bekommt?

Weitab vom Mittelmaß

Das Spiel mit dem Bösen ist reizvoll. Beobachtete Umberto Eco bei den Fernsehzuschauern Mitte der 90er die „Leidenschaft für das Mittelmaß“, so lassen die neuen Serienhelden das Mittelmaß weit hinter sich. Nicht allein die Guten bekämpfen heute das Böse, die Bösen haben einen neuen Platz gefunden, und sie stellen das Gute in uns ins Frage . Mehr davon!

1 Kommentar

  1. Carl

    Ich bin heute zufällig auf deinen Blog gestoßen und bei diesem Artikel gelandet. Ich habe mich selber auch schon desöfteren beobachtet, wie ich in das Binge-Watching verfalle. Speziell bei Serien wie Breaking Bad finde ich das aufhören dann aber auch extrem schwer. 😉

    Ich vermute, dass bei der Bewertung des Charakters von Walter White die Moral durch seine Erfolge sowohl als Heisenberg, als auch als Familienvater, in den Hintergrund rückt. Dem Zuschauer wird das Gefühl vermittelt, dass er die ganze Zeit für sich (gegen die Krebs) und seine Familie kämpft. Deshalb entscheiden sich mMn alle gegen die Moral und für Walter White.

    Beste Grüße!

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