Es gibt so Tage, da frage ich mich, ob mein Berufsziel wirklich das richtige für mich ist. An solchen Tagen stehe ich vorzugsweise in der Stadt an der Bahnhaltestelle. Die Sonne lässt die Schatten schon vormittags lang über die Straße wandern, die Herbstluft erfrischt mein Gesicht, einige Passanten laufen vor mir die Straße hinab und als ob sich alle sieben Pforten der Hölle an diesem wundervollen Morgen gleichzeitig geöffnet hätten, umströmt mich aus heiterem Himmel eine halbstarke Masse jugendlicher Nachwuchsproleten, so geschätzte 15-17 Jahre alt.

Die stellen sich natürlich nicht einfach hin und warten lieb auf die Stadtbahn. Da müssen erst noch wichtige Dinge am Vormittag ausdiskutiert werden. Vorzugsweise per Schwitzkasten, flacher Hand oder Ellbogencheck aus vollem Lauf. Logischerweise nicht stillschweigend, irgendwo in einer Hausecke, sondern quer über den kompletten Bürgersteig inklusive Radweg, mit vollem Kampfgebrüll.

Der Dickste macht es sich am einfachsten. Der wirft sich johlend in die wabernde Masse. Irgendwer wird schon erwischt. Das Schaufenster des Optikers wummst, zittert. Ein kleiner Pickliger geht mit vorgehaltener flacher Schlaghand hinter einem größeren Dunkelhaarigen her. Zieht, was ein vorfreudiges Lachen simulieren soll, wie ein Asthmatiker Luft ein und stößt sie wieder ab.

Einer verteilt Karatekicks an seine Umgebung. Ein anderer springt ihm von hinten auf den Rücken. Fiese Wörter treffen meine Magengrube. Gezeter, Gerangel. Beifälliges Lachen für Dreschen auf den Hinterkopf. Backpfeifen fliegen durch die Luft, Knie verschenken Pferdeküsse. Der Dicke wummst wieder (jemanden) unter großem Geschrei (ob von ihm oder seinem Opfer blieb im Wust der Tobenden ungeklärt) gegen das Schaufenster.

Ich habe mich mittlerweile in Richtung Bahnende verdrückt, um ins letzte Abteil zu steigen. Mit dem Haufen in einem Abteil – Gott bewahre! Die Bahn kommt, ich steige ein, die Tür schließt. Puh. Keiner von denen ist in dieses Abteil gestiegen. Lehrreich, dieser Morgen! Reine Jungenschulen sind für mich von jetzt ab tabu. Das muss ja eine Strafe sein, dort zu unterrichten! Wie überlebt man da die Pausenaufsicht? Und während ich über Sinn und Zweck, für die Bildung anderer Leute meine Gesundheit zu riskieren, sinniere, sehe ich am anderen Ende des Ganges den Dicken mit seinen Kumpels heranwalzen…