Isch 'abe gar kein Untertitel...

Du hast den Farbfilm vergessen

"Unsere Zeit schmeckt nicht nach Zuckerwatte", textet man im neuen Werbespot der "Du bist Deutschland"-Initiative. Tatsache. Passt irgendwie zum Statement von Michael Trautmann, Inhaber der Werbeagentur Kempertrautmann, zur Spreeblick-Kampagne im Handelsblatt:

?Mit dem negativen Feed-Back bei den Weblogs haben wir gerechnet. Die sind immer destruktiv.?


Ja was hat der sich denn vorgestellt? Dass wir, nicht vergessen: wir sind Deutschland, also: dass wir glauben, dass wir wegen seiner Werbeinitiative auf einmal überall rosa Tülpchen aufblühen sehen? Mit Germania auf Wolke Sieben durch die Gegend turteln? Oder etwa freiwillig in seine essigversauerte Zuckerwatte beißen?

Lieber Michael, Deine Initiative stinkt zum Himmel. Sie mieft nach üblem Narkotikum für das dumme deutsche Lamm, bevor es in Richtung Schlachtbank getrieben wird. Und stellt nichts weiter als eine nett formulierte Schuldzuweisung dar: Faule Sau, schwing die Hufe, krieg den Arsch hoch. Und wenn nicht: dann bist du selber Schuld. Du bist Schuld an Deutschland.

Aber toll gemacht. Echt. Die Musik. Pure Gänsehaut. Und wenn Maischberger ihren Hundeblick aufsetzt… wundervoll. Und die Kinder, okay – obligatorisch für solch einen Spot – aber Kinder ziehen immer. Auch bei mir. Fast wären mir die Tränen gekommen.

Leider nur fast.

Denn als ich als gerade so richtig Rotz und Wasser heulen wollte, so richtig in Fahrt kam, voll aufs Gas treten und ein paar Bäume ausreißen wollte, da fiel mir auf, dass ich die ganze Zeit nur mit meinen mickrigen, dünnen Armen in der Luft herumfuchtelte und mich fragte, wo denn nur der verdammte Taifun bliebe!

Oder kannst Du mir verraten, lieber Michael, was mit den ganzen Ich-AGs Flügelschlägern passiert ist, die es tatsächlich gewagt haben, ein paar Wirbelstürme zu entfachen? Warum lese ich von diesen optimistischen Leidensgenossen nur wenig Gutes? Warum höre ich nur, dass immer wieder neue tausende Schmetterlinge im Tsunami der Arbeitslosigkeit ertrinken?

Warum kommen die fetten Ackermanns, Essers, Kohls Spinnen mit ihren dicken Spinnenbeinen besser klar, als die süßen Schmetterlinge?

Warum kommen die schmucklosen Nachtfalter nur auf die schlechtesten Schulen? Warum sind die öfter krank und fett als die anderen? Warum können die glotzen, aber nicht lesen? Warum werden Bibliotheken und Schwimmbäder geschlossen? Warum ändert sich daran seit Jahren nichts?

Warum soll den Motten jetzt noch der Kündigungsschutz gestrichen werden? Und warum lachen die kleinen Schmetterlinge immer voller Sarkasmus, wenn jemand ihnen die 35-Stunden Woche streichen will. Warum möchte niemand die "alten" Schmetterlinge haben, die wissen, wie man mit den Flügeln schlägt? Wieso will niemand die jungen Schmetterlinge ausbilden, die doch so gerne mit den Flügeln schlagen lernen möchten? Warum wehren sich die "Geiz-ist-geil"-Discount-Schmetterlingsnektarlieferanten so vehement gegen die Einführung von Schmetterlingsvertretern?

Warum blockieren die Schmetterlingobermotze sich gegenseitig, verhindern das Voranschreiten der Schmetterlingsrepublik? Und wieso darf der Merkelschmetterling Deutschland die ganze Zeit schlecht reden und der Bloggerling nicht?

Und da sollen wir Blogger eine aalglatte Medienkampagne einfach kritiklos hinnehmen? Und Dir zujubeln, liebster Michael? Dir deinen Weg mit Rosenblüten bestreuen? Ist es das, was Du wünschst? Dass jedermann Dich liebt, Deine Meinung mit Hingabe teilt und jedes Deiner von Deinen Lippen perlenden Worte kommentarlos abnickt? Ich glaube, Du hast den Farbfilm vergessen…

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die ach so destruktive Blogossphäre zum größten Teil aus gut ausgebildeten, kontaktfreudigen, klugen Menschen besteht. Warum die Dir nicht zu Füßen liegen, das sollte Dir zu denken geben, lieber Michael… ach… und wenn Du wirklich mal etwas über Destruktvität lesen lernen willst, dann empfehle ich Dir das BILDBLOG!

(aber is‘ sicher tolle PR für Deine Agentur diese Kampagne… guter Schachzug, mein Michael…)

10 Kommentare

  1. {Lichtwesens Variationen}

    Spott und Hohn – und eine Retourkutsche, die garantiert nach hinten los gehen wird.
    Du bist Deutschland? Nein, sagt Spreeblick-Johnny Häusler, Kreativleiter beim Spreeblick-Verlag. Die ganze Kampagne rieche doch sehr nach Abschieben von politischer Verantwortung. Fast tut es ihm Leid, dass seine Aktion so große Resonanz hat. Das werde…

  2. Hubbe

    Dein Beitrag ist zu gut. Musste ihn einfach verlinken… 🙂

    Klicksch Du: http://hubertmaier.hu.funpic.de/?p=312

  3. hokey

    Hui… was ein Service: der Link wird frei Haus serviert. Fühle mich gebauchpinselt. 😉

  4. SoWhy

    Guter Kommentar, fürwahr!

  5. Blauer Blog

    Ein paar kritische Links zur Du-bist-Deutschland-Kampagne
    Die aktuelle Kampagne „Du bist Deutschland“, von der ich mich als arbeitswilliger und seit drei Jahren arbeitsloser (so gut wie, Stichwort „Jobben“) Akademiker persönlich verhöhnt fühle und die ein Schlag ins Gesicht von ungefähr 81 Millionen Menschen …

  6. XenonB

    Göttlich! Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer: Wer mich destruktiv schimpft, wird auch nicht mehr verlinkt und muss zusehen wo er beim Pageranging bleibt! Das ist ein Aufruf zum Link-Boykott!

  7. Schnipsel

    Was bin ich: Papst? Oder Deutschland?
    Einen hervorragenden Kommentar zur „Du bist Deutschland“-Kampagne bietet Hokey in seinem Blog. Und im Blauen Blog findet sich eine ganze Liste mit Postings zum Thema.

  8. So Why Not?

    Destruk-Blogs!
    Das Handelsblatt, einer der Superhelden hinter der "Du bist Bayern Schwaben Italien Deutschland" Kampagne erklärte Blogs, die sich mit der Kampagne konstruktiv befassen (i.e. die sie kritisch betrachten zumeist)

  9. Torsten (taxiblog.de)

    Dem ist kaum noch was hinzuzufügen. Klasse, Du hast ziemlich genau meine Gefühle beim Anblick der Kampagne beschrieben.

    Fehlt eigentlich bloß noch die Erklärung, warum ausgerechnet Werbeagenturen und Medienunternehmen (die von der Werbung leben) sich so für „die gute Stimmung“ engagieren…

    Jahrelang hat uns die Industrie eingeredet, daß die Arbeit in Deutschland zu teuer ist. Deutsche Arbeiter sind faul (zuviel Arbeit, zuwenig Wochenarbeitszeit, zuviel Krankenstand), Dumm (Pisa!) und die Gewerkschaften sind zu mächtig.

    Und mit diesem Argument wurden fleißig Arbeitsplätze ins Ausland „exportiert“.

    Dummerweise hat der Konsument deswegen inzwischen soviel Angst, daß er kaum noch was vom wenigen Geld ausgibt… Es könnte ja noch schlimmer kommen. Arbeitslosigkeit lauert inzwischen in jeder Firma und in jeder Branche.

    Wenn aber in Deutschland die Nachfrage nachlässt, zittern auch die Leute um Ihre Profite und Jobs, die mit Werbung ihr Geld verdienen… Eben die oben genannten Werber und Medienunternehmen.

    Also werden flugs die Praktikanten an die Arbeit gescheucht und unverkaufte Werbeplätze zur Verfügung gestellt für „Du bist Deutschland“. Immerhin zum „Listenpreis“ von 30 Mio. Euro. Das man auf dem freien Markt wohl nur einen Bruchteil davon realisieren könnte… Egal. Die hohe Zahl ist wichtig für die Pressemitteilungen!

    Deutschland hat echt was Besseres als diese verlogene „Imagewerbung“ verdient!

    Frische Grüße, Torsten (www.taxiblog.de)

  10. Eberons Blog

    Ich bin ich!
    ?Mit dem negativen Feed-Back bei den Weblogs haben wir gerechnet. Die sind immer destruktiv?Stimmt, schon irgendwie Scheiße, daß bei Menschen mit eigener Meinung Propaganda nicht so recht funktioniert. Bei Lemmingen, ja, da klappt das natürlich hervorr…

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