Wenn noch jemand einen Grund brauchte, warum die FDP keinesfalls bei irgendeiner Wahl auf über 5% kommen sollte, dann findet er ihn seit heute im unsäglichen Verhalten der Thüringer FDP. Obwohl diese bei der Landtagswahl 2019 gerade einmal 5% Stimmenanteil erreichen konnte, entschied sie sich heute überraschend erst im dritten Wahlgang dazu, einen eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu stellen, wenn nur noch die einfache Mehrheit zählt. (Ich wusste gar nicht, dass so ein Unding überhaupt möglich ist!) Dieser gewann dann überraschend mit 45 zu 44 Stimmen gegen den Linken-Kandidaten Bodo Ramelow, weil die AfD ihren eigenen Kandidaten nur zum Schein aufstellte und alle Stimmen an Thomas Kemmerich von der FDP gab. Dass dieser ernsthaft mit einer Wahl gerechnet hat, mag bezweifelt werden. Umso schlechter für Thüringen.

Nun hat Thüringen also einen 5%-Ministerpräsidenten von Höckes Gnaden, und das Ganze wirkt auf den ersten Blick nach Absprache, sodass es kein Wunder ist, wenn man ihm den obligatorischen Blumenstrauß vor die Füße wirft. Laut SZ hatte Kemmerich jedoch zuvor bekannt gegeben, dass er erst im dritten Wahlgang einsteigen wolle; die AfD hatte also Zeit, sich strategisch zu positionieren. Kemmerich hätte die Wahl jedoch ablehnen können – hat er aber nicht.

Mit dreckigen Spielchen begann es auch in der Weimarer Republik. Wer die Augen nicht wach und weit aufhält, wenn ein Höcke seine Finger im Spiel hat, der sollte sich nicht wundern, wenn sie ihm bald bunt und blau geschlagen werden.

Der Kommentator in der Süddeutschen (s.o.) formuliert es so:

Warum nur hat Kemmerich diese Wahl angenommen? Weil er selber so perplex war in dem Moment? Oder weil am Mittwochmittag gar nicht er, sondern die freiheitliche Demokratie hereingelegt worden ist – und er selber zu den Hereinlegern gehört? Im Ergebnis war ihm die Abwahl des Regierungschefs einer konkurrierenden Partei wichtiger als der Zusammenhalt unter Demokraten. Dass FDP und CDU in Thüringen diesen Zusammenhalt aufgegeben haben, ist nicht bloß unanständig oder eine Schande. Sondern sie haben sich an der Republik vergangen.

Eine Lösung wird in Spiegel-Kommentar genannt: Neuwahlen! Folgt man jedoch dem SZ-Kommentator, dass es der sogenannten „Mitte“ wichtiger ist, den gemäßigten Demokraten Ramelow dumm dastehen zu lassen, als sich um eine demokratische Brandmauer gegen die Neo-Faschisten zu sorgen, der wird sich diesen schalen Sieg nicht nehmen lassen. Und ein Höcke wird einmal mehr als Held in seiner Partei gefeiert werden.

Nachtrag

Das ist so ein Tag, wo ich am liebsten wieder einen Twitter-Account starten würde, weil ich pausenlos mein Bedürfnis stillen möchte, empörten Dampf über diese Niederträchtigkeit abzulassen!

Nachtrag 2

Ich hoffe, den sogenannten „Parteien der Mitte“ (könnte kotzen!) platzt heute das Mailkonto aus allen Nähten. Und der echte Postkasten ab morgen. Und zwar von Austrittsanträgen.