Heute liest man von Berichten zu Merz‘ Auftritt bei Markus Lanz, dessen Talkshow mittlerweile den öffentlichen Diskurs mehr zu beeinflussen scheint als die dafür eigentlich vorgesehenen Formate.

Und Merz erfüllt, was er optisch bietet: Ein grauer Wiedergänger des neoliberalen Establishments der späten 90er und der 00er-Jahre, Stichwort: Dotcom-Blase. Das Leben besteht für ihn ausschließlich aus monetär zu verrechnenden Größen und Projekten, Frauen haben zuzuhören und auch sprachlich keinen Raum bei Merz: Sollte die CDU einen Koalitionsvertrag formulieren müssen, „dann gibt es eben zwei Vertragsversionen, eine gegenderte und eine nicht.“ So viel Holzkopfigkeit muss man sich einmal vorstellen.

Ich muss zugeben, dass mich das Hin- und Her und das Immer-noch-Eins-obendrauf (LeserInnen? Lerser*innen? Leser:innen? Ganz auf Gender verzichten: Leserx / Lesery? Oder doch ganz klassisch, liebe Leserinnen und Leser?) auch nervt. Aber ist schon bestechend, einmal einen Text im generischen Femininum zu formulieren, um zu merken, dass sich die Bedeutung doch wandelt, dass doch nicht immer alle mitgemeint scheinen, dass die Dinge plötzlich anders wirken. Und wenn viele Menschen diesen Diskurs führen, dann können wir ihn nicht ignorieren, dann müssen wir dadurch und alte Zöpfe abschneiden. Dass das nicht immer leicht ist, gehört mit zum Geschäft.

Es gibt ja diese fünf Phasen im menschlichen Umgang mit Verlust: das Leugnen, die Wut, das Verhandeln, die Depression, die Aktzeptanz. Ich habe als alter weißer Mann fürs Gendern die Phasen 1 bis 2 sicher hinter mir, könnte mich durchaus noch dem Endstadium von Phase 3 zuordnen, hoffe die vierte zu überspringen (es sei denn, es kommen noch drölfzig Vorschläge, wie man richtig gendert; vielleicht weil ein „§“-Zeichen die juristische Gleichstellung noch besser darstellt, liebe Leser§innen!) und kann mich in großen Teilen auch schon Phase 5 zuordnen. So ganz in Fleisch und Blut habe ich das aber noch nicht.

Friedrich Merz scheint noch in Phase 1 zu stecken. Das ist sehr schade, aber auch hilfreich: Ich würde ganz sicher komplett alle fünf Phasen auslassen, sollten wir im September Friedrich Merz in seiner Funktion als Politiker verlieren. Es wäre schlichtweg kein Verlust.