Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. In meinem Fall vor YouTube sitzend, das neueste Video von Tim Pierce schauend. Der hat sich nämlich des Solos von „Runaway“ angenommen, und da er einer der am geschmackvollsten spielenden Gitarristen und gleichzeitig ein alter Hase als Studiomusiker ist und „Runaway“ sowieso in meiner permanenten Übungsliste drinsteht, muss ich das natürlich gucken.

Naja, aber so, wie er das Solo spielt, spiele ich das nicht! Ich habe mir ja auch extra auf Songsterr die passenden Tabulaturen gesucht und das schon einige Male gespielt. (Nun, zumindest bis der Teil mit den schnellen Slides kommt, da kapituliere ich regelmäßig und die Tabs helfen wenig weiter.) Die Songsterr-Version klingt plausibel und bis zu den Slides muss das passen!

Tim Pierce spielt das Solo einmal komplett durch, und ja, irgendwie passt es ja schon und jede Note sitzt perfekt. Das ist ja auch kein Wunder, denn so ein erfahrener Musiker spielt gewiss jedes Solo, aber eben auf seine Weise, nicht originalgetreu. Und so will ich schon weiterzappen, als Tim Pierce Folgendes sagt:

When Jon Bon Jovi was a very young man […] he did a master tracking session and one of that songs from that session ended up being […] „Runaway“. And I played the guitars on „Runaway“!

Tim Pierce, 2019

Die Ohrfeige saß. Zurückspulen, noch einmal hören. Hat er das wirklich gesagt? Ja, tatsächlich: Tim Pierce hat die Gitarren auf „Runaway“ gespielt. Im weiteren Verlauf des Videos erklärt er sein Solo und plötzlich ergibt alles Sinn! Sogar die unmöglich erscheinenden Slides sind „schlichte“, an den Akkorden orientierte Pentatonik-Slides – und damit immer noch nicht einfach, aber nicht mehr unmöglich! Nur das Ende des Solos wird mich viel Zeit kosten, befürchte ich, aber wenn der Meister himself es erklärt, dann wird es schon klappen!