…und der Drang zur investigativen Recherche nachlässt, dann sucht man einfach auf www.lehrer-online.de einen beliebigen, angreifbar scheinenden Unterrichtsentwurf und strickt daraus in BILD-Manier den Untergang des Abendlandes. Und um die im Text angegebenen Fakten dem Leser möglichst wenig überprüfbar zu machen, verzichtet man gleich darauf, Links auf den Stein des Antoßes zu setzen. Warum sollte man sich auch als Redakteur eines der wichtigsten Online-Magazine der neuesten Kulturtechniken bedienen?

Aber was soll man auch sonst machen, wenn der neue Potter vor der Tür steht, die Fans sowieso schon begeistert warten und man sich irgendwas zu Potter aus den Fingern saugen muss. Positiv wird sowieso schon berichtet, bad news are good news und ein wenig Lehrerbashing kommt auch immer gut. Fazit: Schlachten wir doch einfach eine Unterrichtsreihe zum Thema Harry Potter.

Eigentlich geht es ja nur um einen Vorschlag für eine Unterrichtsreihe. Eine Option. Eine Möglichkeit. Eine Anregung. Um etwas, dass man eventuell einsetzen könnte. Aber schon das ist dem SpOn-Autor des Guten zu viel. Er fühlt sich dadurch direkt vom "deutsche[n] Schulwesen (…) tief gekränkt". So tief, dass er jetzt einfach mal seinen Emotionen freien Lauf und seine ganze kritisch journalistische SpOn-Ausbildung in die Waagschale werfen muss, um auf diesen immensen Mangel hinzuweisen. Um Deutschland zu retten.

Doch nicht nur gekränkt ist er, nein, "Zorn" entflammt in seiner Brust ob der Tatsache, dass er sich mit Dickens, Shakespeare und Joyce plagen musste. Von denen er "nicht (…) auch nur ein einziges Buch ganz gelesen" hat, woraus evtl. resultieren könnte, dass er nicht zur Kenntnis nimmt, dass es sich bei der vorgeschlagenen Unterrichtsreihe lediglich um eine "pre-reading activity" handelt, veranschlagt auf 2 x 45 Minuten, sprich: zwei Schulstunden oder eine Doppelstunde. Für den Autor: nix Lehrplan, nix verbindlich.

Das Mokieren über das Malen von Bildern war zu erwarten. Auch wenn ich wetten möchte, dass im Bildungsdossier des SpOn irgendwo etwas zum Thema "Lernen mit allen Sinnen" zu finden ist. Vielleicht wäre auch der zornige Autor mit den Verwandschaftsbeziehungen von Richard III besser zurechtgekommen, wenn er sich einmal ein Bild davon gemacht hätte. Ich frage mich, was der Autor von Kunstunterricht hält?

Dass es mit diesem traurigen Artikel um nichts anderes ging, als ein paar willige Kommentatoren für’s SpOn-Forum zu finden, ergibt sich aus dem entsprechenden Hinweis im Artikel. Traurig aber wahr, dort springt man voll drauf an und beschreit schon mal den Untergang der Schulkultur.

Ich schicke ein Kind auf eine Privatschule, notfalls ein Internat. Tja, war wohl nix mit Schnäppchenjagd zu Saisonende: Das Geld werde ich wohl für den Privatschulunterricht meiner (eventuell) zukünftigen Kinder sparen! Tja, die Wirtschaft wird von mir also auch nicht angekurbelt werden, blöder Nebeneffekt…

Trotz allem verwest der Geist der Gesellschaft, wenn die Jugend sich mit Popliteratur anstelle von genannten Beispielen (Animal Farm, Lord of the Flies, King LEar, etc.) auseinandersetzt.

Das ist eine der Krankheiten unserer Gesellschaft: jeder muss Abitur gemacht haben und deswegen macht jeder Abitur, auch dann, wenn er oder sie im klassischen Sinne kein Abitur machen müsste. Um die Abschlüsse zu sichern wird das Niveau gesenkt und in Zukunft lesen wir in der 13. Klasse Marvel Comics…

Ich bin enttäuscht. Kübelweise miese Polemik wegen nichts vom Online-Goliath, ausgeschüttet über einen wehrlosen David, machen noch keinen guten Artikel. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es nur einen Henryk M. Broder gibt…