Isch 'abe gar kein Untertitel...

Danke Lordi! Ein Plädoyer für die harte Gangart.

Danke Lordi, dass Ihr die etablierten Scheuklappen-Neurotiker dazu zwingt, die Augen zu öffnen:

Man mag an dieser Stelle kaum noch wiederholen, dass Heavy Metal als Überbegriff ein Genre bezeichnet, das zahllose extrem unterschiedliche Strömungen in sich vereint, über virtuose Musiker verfügt und thematische Tiefen kennt, die den meisten anderen Bereichen der Populärmusik fremd sind. (Spiegel Online)

Nagel getroffen. Aber die meisten Menschen bilden sich ihr musikalisches Urteil, meiner Beobachtung nach, aufgrund des Sounds, nicht aufgrund von Harmonien, Songstrukturen oder – igittigitt – Texten. Ich kenne Techno-Jünger, die beim ersten Klang einer verzerrten Gitarre den Radiosender wechseln, egal ob da nun Bryan Adams oder Metallica läuft, weil das ja alles irgendwie nur stumpf und laut ist. (Jaa, dies sprach ein Techno-Fan zu mir…) Und sich dann beim nächsten MediaMurks die neueste Phil Collins-Scheibe gekauft haben, weil der ja irgendwie… mhhhm… in der Plattensammlung bei den Weibern mehr hermacht als das neueste Blind-Guardian-Werk.

Dabei haben Blind Guardian weit mehr zu bieten als stumpfes Rumgeknüppel. In Zeiten des Internets kann man dankenswerterweise mit Links dienen, die den schnöden Verächter eines besseren belehren können. Man folge mir auf die Blind-Guardian-Medienseite, wo wir uns als erstes unser Knüppelklischee bestätigen lassen, indem wir erst einmal auf "Majesty" klicken. Uuuuh… knüppelknüppelknüppel. Grausige Klänge in den Ohren des Metalneulings. Noch schlimmer, wenn man auf "Welcome to Dying" klickt, schon der Titel lässt tief blicken: Tod, Verderben, Hölle, Satan. Krachmachermusik vom Ärgsten.

Wer an dieser Stelle aufgibt, verpasst allerdings einige Glanzstücke des deutschen Metals, zu dessen Aushängeschild man Blind Guardian durchaus machen könnte. Um uns die eingängigere Seite von Blind Guardian anzusehen, sollte der geneigte Leser nun das Stück "Lord of the Rings" einknipsen. Ja. Richtig gelesen. Blind Guardian haben den "Herrn der Ringe" vertont, lange bevor Mr.Jackson überhaupt wusste, wo Island liegt. Dass kein Blind-Guardian-Song seinen Weg in den Film gefunden hat, hat mich ein wenig enttäuscht. Aber zurück zur Musik: Hui!? Gar kein Geknüppel. Sogar Hörner im Hintergrund. Streicher. Gleiches gilt für den "Bard’s Song", den in der online vorliegenden Live-Aufnahme die langhaarigen Mosher aus vollem Herzen mitsingen. Auch Metaller haben Herz. Und so viel Abwechslung wie in "And then there was Silence" habe ich während des gesamten Songcontests zusammengenommen nicht gehört.

Dem Klassik-Fan dürfte aufgefallen sein, dass dem Metal eine nicht zu überhörende Affinität zur Klassik innewohnt. Okay, auch hier gibt es große Unterschiede, aber ich muss immer wieder an meine Tante denken, die uns, noch in jugendlichem Alter, während einer längeren Autofahrt anflehte, bitte keine Punk-Musik mehr zu hören, sondern lieber freiwillig Metallica einlegte. Das wäre schöner, meinte sie. Für uns total unverständlich – war Metallica doch damals das Härteste, was angesagt war. Heute verstehe ich meine Tante – im schwarzen Album steckt neben der ganzen Schwärze auch eine Prise Klassik.

Die Metaller haben sich nämlich eine Menge bei der Klassik abgeguckt, einige Gitarristen bezeichnen nicht einmal Rockgitarristen als Vorbilder, sondern Paganini, Vivaldi und Bach. Einer von dieser Sorte ist Victor Smolski, der Gitarrist von Rage. Auch der hat Clips online, von denen wir uns ein paar anhören sollten.

Als erstes etwas für’s Vorurteil. Etwas wie "Straight to Hell" (wenn der Link nicht geht bitte hier manuell suchen) – muuaahhrr – Hölle passt immer gut. Und der fette Sound am Anfang lässt jedem Softie die Haare zu Berge stehen. Und wer bis 2:41 durchhält bekommt Geknüppel vom Feinsten. "Grausam!", schreit es da aus dem Hälsen der Bravo-Sozialisierten und der Bildungsbürger gleichzeitig. "Bruckner!", brüllen die einen, während die anderen nach Robbie kreischen. Doch Obacht, Herr Smolski kann auch anders. "Lunatic", klingt vom Titel her wieder fies, aber bitte mal reinhören. Ist tatsächlich auf einer offiziellen Metal-Scheibe erschienen. "Oha!", meint der Klassik-Freund und kratzt sich am Kopf. Noch deutlicher wird der klassische Ansatz auf seiner aktuellen Solo-Platte und dem dazugehörigen Soundbeispiel. Wer Feuer gefangen hat, höre sich doch einmal quer durch Herrn Smolskis MP3-Seite; vielseitiger und abwechslungsreicher geht’s kaum noch – von der handwerklichen Perfektion mal ganz zu schweigen. Smolski ist gewiss einer der technisch versiertesten Gitarristen in Deutschland und auf dem Erdball. Und von ganzem Herzen Metaller.

Ich hoffe, das reicht für’s Erste. Auf Songstrukturen, Texte, Themen etc. möcht ich hier aufgrund meiner hochgradigen Inkompetenz gar nicht eingehen. Mir würde es einfach genügen, wenn Menschen sich Musik erst einmal anhören, bevor sie sie als stumpfes Geprügel oder vertonten Satanismus abtun. Und wer obige Clips gehört hat, der wird verstehen, warum man "Lordi" als Pop-Musik betrachten kann. Musikalisch betrachtet liegen die Orks näher an Robbie Williams als an Blind Guardian.

So, soviel wollte ich gar nicht schreiben, nur schnell auf den Spiegel-Artikel verweisen. Eines habe ich dann am Spiegel-Artikel doch noch zu bekritteln:


Wenn überhaupt etwas an diesem Grand Prix fassungslos machen konnte,
dann war es die Urteilskraft der Zuschauer. Sie haben den Auftritt von
Lordi als das verstanden, was er war: prima Unterhaltung, nicht
weniger, aber auch nicht mehr. Manchmal ist das Volk eben weiter als
mancher Feuilletonist.

Ich schätze eher, dass da MTV und das ein oder andere Heavy-Forum ein Wörtchen mitzureden hatten. Es macht doch einen Unterschied, wenn die Schwarzgewandeten aller Länder sich zum TED vereinigen, während die Gebißträgerfraktion sich auf 23 weitere Kandidaten verteilt.

1 Kommentar

  1. JG

    Ich habe diesen Artikel mit Interesse gelesen und kan einfach nur zustimmen. Ich finde, dass Rockmusik nicht einfach Rockmusik und somit einfach nur Krach ist.
    Ich meine, da braucht man sich wirklich nur solche Lieder wie „Harvest Of Sorrow“ oder „The Eldar“ von Blind Guardian anzuhören. „The Bard’s Song (In The Forrest)“ wurde ja schon erwähnt (eines meine Lieblingsongs, im Übrigen, sowohl in der Album- aber erst recht in der Live-Version).

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