Furchtsames Herz, was hast Du hier verloren? Die sprichwörtliche deutsche Angst, eigentlich auf wirtschaftliche Sorgen gemünzt, grassiert diesertags wie Pest und Cholera durch alle Bereiche des öffentlichen Lebens.

Über die hasenfüßige Absetzung der Mozartoper verliere ich kein Wort. Zu diesem Akt öffentlicher Feigheit hat Stefan Kornelius von der SZ schon die richtigen Worte gefunden. Dank dafür!

Ein anderes Thema treibt mich um. Schon seit Jahrzehnten tragen junge Menschen durchgestrichene und symoblisch zerschlagene Hakenkreuze als Aufnäher auf ihren Rucksäcken oder Jacken (und manche auch auf ihren Gitarrenverstärkern 😉 ), doch erst in diesen Tagen kommen Polizei und Judikative auf die abwegige Idee, dass durchgestrichene Hakenkreuze verfassungsfeindlich sein könnten.

Zeichen sind nicht verbietbar
Dass das bestenfalls eine Utopie der Befürworter des starken Rechtsstaates ist, sollte spätestens seit dem traurig-berühmten Auftritt der FDP-Granden bei Christiansen klar sein. Die “18” unter den Schuhsolen sorgte wegen ihrer Nähe zur Nazi-Symbolik für große Aufregung, umso mehr als Möllemann antisemitische Traktate verteilen ließ. Dennoch hat man den Mathematikern ihre 18 nicht verboten.

Die Neo-Nazis selber weichen bei öffentlichen Veranstaltungen auf andere Zeichen aus und entwickeln neue Codes. Deswegen Pullover der Marke “Lonsdale” nicht mehr zu verkaufen, ist genauso blöde wie die Idee, “Böhse Onkelz” nicht im Radio zu spielen. Symbolische Zeichen sind jederzeit problemlos durch andere austauschbar. Im Zweifelsfall weicht man auf etablierte Zeichen aus: Wer wird die “88” verbieten wollen?

Nazi-SymbolikPrinzipiell ist jedes Zeichen umdeutbar. Selbst das fragliche Swastika-Symbol ist in seiner Geschichte, nicht zuletzt durch die Nazis, in seiner Bedeutung verändert worden. Karl Arnold, der Zeichner der linksseitigen Karikatur, hatte 1925 gewiss noch andere Vorstellungen vom Hakenkreuz als wir heute.

Das Paradoxe am aktuellen Fall ist aber nicht einmal, das man Nazi-Zeichen verbieten will, was unmöglich ist, sondern antinazistische Symbole mit drakonischen Strafen sanktioniert, indem man sie so behandelt, als wären sie nazistische Symbole. Da ist akute Nachhilfe in Semiotik angesagt, liebe Juristen.

Signor Sigma und die deutsche Autobahn
Umberto Eco benutzt in seinem “Labyrinth der Vernunft” den Signor Sigma, um dem Leser die komplexen Verhältnisse der Zeichenwelt nahezubringen. Ich lasse Signor Sigma einfliegen und an ihm den Unterschied zwischen nazistischen und antinazistischen Symbolen erklären. Auf gehts, Signor Sigma!

Signor Sigma kommt also wohlgelaunt am Senner Flughafen in Bielefeld an und begibt sich dort unverzüglich in einen Leihwagen, den seine Sekretärin von Italien aus beordert hat. Es ist ein Auto deutscher Bauart, Signor Sigma hatte darauf bestanden. Wenn schon, dann möchte er die deutsche Lebensart ganz genießen. Andere Länder, andere Sitten, sagt sich Sigma und gibt Gas.

Obwohl er unkompliziert und schnell über Landstraßen zu meiner Wohnung kommen könnte, zieht Sigma es vor, einen kleinen Umweg über eine deutsche Autobahn zu machen. In Italien darf man dort nur 130km/h fahren, aber Sigma möchte einmal richtig Gas geben. Nach ein paar Ampeln und einige Kreuzungen später, Signor Sigma ärgert sich, dass die Deutschen kaum Kreisverkehr haben, ist er endlich auf der erlösenden Autobahn und tritt das Gaspedal so richtig durch.

Doch, oh weh, das Vergnügen währt nur kurz, schon nach wenigen hundert Metern kündigt sich über Signalschilder eine Baustelle an und ein roter Kreis um die Zahl “100” mahnt Sigma dazu langsamer zu fahren. Seufzend drosselt Sigma das Tempo und zuckelt durch die kilometerlange, enge Baustelle, seine kleine Spritztour schon fast bereuend.

Doch endlich wird die Straßenführung wieder breiter und Sigma, obwohl Italiener, deutet das Schild mit der rot durchstrichenen “100” richtig als Aufhebung des Tempolimits, gibt wieder richtig Gas und lässt sich bei heruntergekurbelter Scheibe die schwarzen Locken zerzausen.

Nach einiger Zeit dreht er wieder um und findet, obwohl er kein Wort Deutsch spricht, umstandslos wieder den Weg zurück nach Bielefeld und – oh – es klingelt… Signor Sigma!

Rote Ampel = Grüne Ampel?
Für Sigma und jeden Autofahrer ist die Symbolik eindeutig, weil so verabredet: ein roter Kreis um eine Zahl bedeutet Tempolimit in Höhe dieser Zahl. Erst, wenn dasselbe Symbol durchgestrichen darauf folgt, ist das Tempolimit wieder aufgehoben. An genau diese verkehrsspezifische Verabredung knüpft das durchgestrichene Hakenkreuz an. Es zeigt unmissverständlich, dass sein Träger sich gegen eine, durch das Hakenkreuz symbolisierte, rechtsradikale Gesinnung ausspricht, dass er für deren Aufhebung plädiert. Noch deutlichere Sprache spricht die Faust, die das Hakenkreuz symbolisch zerschlägt.

Wer nun argumentiert, das durchgestrichene Hakenkreuz sei ein verfassungsfeindliches Symbol, weil das nicht durchgestrichene Hakenkreuz als verfassungsfeindlich eingestuft wird, der macht sich mit der gleichen Logik die Theorie zu Eigen, das durchgestrichene Hakenkreuz sei ein Verkehrszeichen. In Wirklichkeit ist beides unwahr: das durchgestrichene Hakenkreuz offenbart eine verfassungskonforme Einstellung und hat im Verkehr nichts zu suchen.

Und dennoch folgen Polizisten und Juristen dieser wirren Logik. Damit kann aber jedes Zeichen jederzeit alles bedeuten. Die rote Ampel kann als grüne Ampel interpretiert werden oder auch als Aufforderung, Fußgänger zu jagen – wer weiß das schon, wenn das kleine grüne Männchen aufblinkt; die grüne Uniform eines Polizisten kann als Uniform eines Feuerwehrmanns betrachtet werden; das durchgestrichene Tempo 70-Schild als Aufforderung, Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Und ist der Typ in der schwarzen Amtsrobe nun wirklich ein Richter oder tragen neuderdings nicht doch die Verbrecher schwarze Roben? Gelten die jahrzehntelangen Verabredungen bezüglich unserer Zeichen plötzlich nichts mehr? Müssen wir juristisch bei Null anfangen?

Wer aus lauter Furchtsamkeit Zeichen vermischt, vertauscht nicht nur ein abstraktes Ding mit einem anderen, sondern er vermengt gleichzeitig auch die konkreten Zeichenbenutzer: aus linken Punks macht er rechte Nazis, aus verfassungsfreundlichen Gymnasiasten macht er verfassungsfeindliche Rechtsextreme. Zwar zunächst nur symbolisch, doch auch das kann reale Folgen haben: aus engagierten jungen Menschen macht er verbitterte Zweifler am Rechtsstaat.

In der Geschichte spricht man vom langen 19. und dem kurzen 20. Jahrhundert. Ersteres lässt man mit der Französischen Revolution beginnen und mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs enden, zweiteres endet mit dem Fall der Mauer. Für den folgenden Abschnitt gibt es noch keinen griffigen Begriff, doch ich hätte einen Vorschlag: Das furchtsame 21.Jahrhundert hat begonnen.