Die Temperatur beträgt 29° und die Hölle gefriert. Ich verlinke zum ersten Mal (hoffe ich zumindest) ein Produkt der BILD. Und zwar dieses fantastische Video, in welchem ein Bild-Journalist das Ford-Aufsichtsratmitglied und ehemaligen Deutschlandchef Gunnar Hermann zum Thema „Elektromobilität“ befragt – und es läuft nicht, wie ich erwartet hätte.
Meine Erwartung: Ein Bild-Journalist interviewt einen Auto-Boomer aus der Wirtschaft. Und natürlich erwarte ich als jemand, der Herrmann nicht kennt, dass das eine klare Sache wird: Die bösen Grünen! Das gute Öl! Welch Wahnsinn diese E-Mobilität ist! Lasst uns auf „technologieoffene“ E-Fuels setzen!
Statt in den Klagegesang von FDP und CDU / CSU einzustimmen, schlägt Herrmann jedoch ganz andere Töne an. Und ich möchte bei jedem Satz aus vollem Herzen zustimmen! Der haut einen Kracher nach dem nächsten raus. Von der Verschiebung des Verbrenneraus á la Friedrich Merz nach 2035 hält er so gar nichts:
„Und wenn Sie dann auf die Idee kommen, och, wir machen den Verbrenner ein bisschen länger, dann kann das nur begründet sein dadurch, dass Sie gar keine Strategie haben bzw. auf dem letzten Loch pfeifen und jetzt zum lieben Gott beten, dass Sie das alte Zeug weitermachen können. Aber wenn Sie an Wohlstand glauben, an Wachstum glauben und an die Zukunft glauben, dann bitte schön lasst die Ziele [er meint den Ausstieg aus dem Verbrenner 2035, Anm. H.], wie sie sind.
Diese ganze Geblocke und Gemauere steht seiner Ansicht nach dem wirtschaftlichen Wachstum im Wege. Das nicht nur auf der strategisch-planerischen Ebene, sondern auch auf der praktischen Ebene, wo es ganz massiv an Investitionen (hat da gerade jemand „Schuldenbremse“ und „schwarze Null“ gerufen?) fehlt:
Die Entwicklung in der erneuerbaren Industrie, die ist wirklich auf einem hervorragenden Weg, die funktioniert, die geht ab. Was wir nicht haben (…), ist die Infrastruktur. Und hier fangen wir an (…) Protektionismus zu machen, um zu vermeiden, dass wir wirklich mal investieren.
Er ist höflich und sagt „wir“, aber wir wissen, wen er meint. Als er dann auch noch den signifikant günstigeren Unterhalt von E-Autos anspricht, will der Bild-Reporter, der professionell grummelig wirkt, „das Volk“ verkörpern. Er haut jetzt alles auf den Stammtisch, was dieser so zu bieten hat: E-Autos? Das könne sich doch keiner leisten und das wolle auch gar keiner! Die Reichweite sei zu gering, die Ladeinfrastruktur zu schlecht! Und die Arbeitsplätze! Wo sollen die Leute aus der Branche bitte arbeiten?
Herrmann sieht das insgesamt nüchtern als Transformationsprozess, der von allen Akteuren aktiv gestaltet werden kann und muss: Wer immer nur nach hinten schiebe, der werde am Ende von einer Entlassungswelle überrollt. Problematisch seien politische Entscheidungen, die sich alle fünf Minuten änderten und die Käufer verunsicherten (Wärmepumpe, ick hör dir trappsen).
Aber wo laden, wenn man auf dem Land wohnt! Herrmann nennt Fakten: Im Schnitt seien es auf dem Land 35 km bis zur nächsten Tankstelle, ergo 70km Fahrt nur zum Auftanken; mit Solar hingegen könne auch auf dem Dorf jeder zuhause laden. Das Stichwort „Solar“ führt ihn zu dem Punkt, dass in DE schon einmal Schlüsselkompetenzen aus Ungeduld aus der Hand gegeben wurden, der kluge Bild-Reporter merkt gleich: das können ja nur die Chinesen sein! Hermann verweist auch auf die USA, wo Ford gerade in Kentucky investiert und „eine neue Stadt“ baut, um E-Mobilität in den Vereinigten Staaten voranzubringen. Dieses Zögern und Zaudern in Deutschland scheint ihm das größte Problem zu sein:
Da ist der Glaube an die Zukunft und da ist auch ein echtes Zeichen von „Wir verändern die Zukunft jetzt, wir gehen in die richtige Richtung“. Da finde ich es eigentlich grob fahrlässig, wenn diese Dauer-Bremser andauernd aus den Ecken kommen, die dann brüllen: „Aber es hat doch gestern funktioniert, können wir das nicht noch ein bisschen halten.“
Standortsicherung bedeutet, in Zukunftstechnologien zu investieren und Geduld zu zeigen, wenn sich nicht gleich alles in kürzester Zeit in barer Münze auszahlt, denn:
Nichts ist gefährlicher als die Wankelmütigkeit, die wir zur Zeit hier sehen. (Zwischenfrage des Interviewers: „Also Augen zu und durch?“). Da muss man jetzt durch! Ich meine, was ist denn die Alternative? Warten Sie zehn Jahre, setzen sich dahin und gucken, wie Ihnen die Fetzen links und rechts um die Ohren fliegen?
Als der Interviewer dann die wirtschaftsnahe FDP anführt, die das Verbrenner-Aus verschieben möchte, kommentiert Herrmann wie folgt: „Ja, ziemlich rückständig gedacht. Da fällt mir nichts mehr zu ein.“
(Das Interview geht noch weiter, aber mit einen solch wunderbaren Schlussatz muss ich einfach enden.)
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