Isch 'abe gar kein Untertitel...

Wenn ich König von Prollland wär

Was soll die plötzliche Aufregung um Rio Reisers "König von Deutschland"? Ist die Media Markt-Verhunzung mit der dummen Sau nicht einfach nur die logische Konsequenz?

Das erste Mal "König von Deutschland" war irgendwo auf ’nem Sauerländer Schützenfest oder auf einer unserer Abi-Partys. Unseligerweise erlebte der deutsche Schlager zu meiner Abi-Zeit ein Revival, und so war auf unseren Feten alles vertreten, was Schmalz und Pathos hatte.

Von Marianne Rosenberg über Drafi Deutscher, Vicky Leandros, Wolfgang Petry, Wenke Myhre bis Michael Holm oder Udo Jürgens – und natürlich Rio Reiser. Wir haben da keinen Unterschied gemacht. Uns kam alles aufs Tablett, was deutsch gesungen hat: Politik, Attitüde, Anspruch spielten keine Rolle.

Und so lernte ich Rio Reiser kennen: umgeben von Besoffenen, gegröhlt aus bierstinkenden Kehlen, während die Menge hackenstramm auf den Tischen tanzte. War uns trotz Rockerattitüde wurscht, wer da gespielt wurde, hauptsache der Beat war stimmig und der Pegel entsprechend. Prollmusik. Zum Saufen reicht das, sagten wir uns und hielten fleißig unsere Ohren in den Wind der Zeit.

Und "König von Deutschland" war das perfekte Sauflied. Schon vom Meister selber leicht gelallt, griffige Hookline, klare Beats und ’n Refrain, den selbst der größte Suffkopp noch mitjohlen konnte – massenkompatibler Kneipenrock eben. Und so verstanden wir ihn auch: nicht als Musik, sondern als Beigleitmaterial zum Schädel wegknallen. Reiser ohne Bier – bewahre!

Und das hat sich nicht geändert. Erst dieses Wochenende war ich seit Äonen wieder in einer dieser schmuddeligen dunklen Kneipen, in denen vierzigjährige Männer sich den Schädel einschlagen wollen, draußen mit Bierflaschen schmeißen und am Ende stolz vors Auto kotzen. Etwa eine halbe Stunde habe ich es in der Spelunke ausgehalten, aber ratet mal, welchen Song ich in diesen dreißig Minuten gehört habe? Richtig: König von Deutschland.

Und das kann auch Euch Reiser-Fans nicht entgangen sein, dass "König von Deutschland" Prollmucke ist, die DJs jederzeit griffbereit neben Modern Talking und DJ Ötzi liegen haben. Dass Rio Reisers bekanntestes Stück nichts weiter ist als ein Sauflied, auch wenn das vielleicht nicht Reisers Intention war, aber wen interessiert das schon. Wer sich jetzt über die Media Markt-Reklame aufregt und "Respekt" vor Reiser einfordert, der hat die letzen zehn Jahre keine schlechte Kneipe mehr betreten. 😉

Der Media Markt führt doch nur folgerichtig weiter, was er in der Gesellschaft vorfindet und trifft damit punktgenau die Zielgruppe: Wer samstags aus der Kneipe gewankt kommt, sich sonntags auf der Couch vorm HDready-Flatscreen wiederfindet und beim Frühstücksbier Schumi zujubelt, der fühlt sich beim Anblick des Sau-Spots verstanden. Wir brauchen nicht so tun, als ob der fiese und in der Sphäre zu Recht nicht gut gelittene Discounter Reiser-Songs perfide abwertet. Das besorgen schon seit Jahren die Säufer in den Kneipen…

1 Kommentar

  1. Boogie

    „Und so lernte ich Rio Reiser kennen:…“

    Ein etwas aus den Fugen geratener König von Deutschland nannte das mal „Die Gnade der späten Geburt“. „König von Deutschland“ wurde übrigens Mitte der Siebziger geschrieben und wurde von TSS auch live gespielt. Auf Platte erschien es erst auf Rio’s Soloscheibe und rettete das aufgelöste Unternehmen TSS vor dem ewigen Schuldenturm.

    Den Begriff Prollmusik hätten die Scherben sicher als Lob empfunden. Nur zu gern hätten sie damals die Arbeiterklasse erreicht. Haben sie aber nicht. Sie blieben Zeitlebens eine Studentenband.

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