Isch 'abe gar kein Untertitel...

Kategorie: Religion (Seite 1 von 2)

So wenig, so viel

Schlimm, was man aus Frankreich hört. So viele Tote und jeder einzelne Tote ist so sinnlos.

Das ficht aber wohl niemanden an. Kaum jagten gestern die ersten Meldungen und Gerüchte durch das Netz, schon meldeten sich von allen Seiten die Besorgten und nutzten die Lage, um gegen ihren politischen Lieblingsgegner zu polemisieren. Furchtbar, diese Lagerdenker gehen mir immer mehr auf den Geist, jeder  e i n z e l n e, egal aus welcher Richtung. Nervig auch Personen wie Hannelore Kraft, die dem Twitterwähler im Fahrwasser des Mitleids salbungsvolle staatsfrauliche Werbung Worte mit auf den Weg geben wollen, um sich in der Abwärme des Attentats im eigenen Tollsein zu sonnen. Einfach mal den Ball flach halten, das fände ich toll. Man muss nicht immer gleich zwanghaft auf irgendeiner Seite stehen, sei es links, sei es rechts, sei es atheistisch oder religiös oder was auch immer für Fronten man sich am liebsten aussucht. Einfach mal die Finger still halten.

Einfach mal zu verstehen versuchen, dass Menschen tatsächlich Sorge haben, dass eine massive Einwanderung, wie sie aktuell stattfindet, zu mehr Islamisten führen kann. Man muss ja nicht selbst dran glauben, aber verstehen oder nachvollziehen kann man diese Sorge doch. Oder? Ist der Gesichtskreis so eng, dass das unmöglich ist? Habe darum (ausnahmsweise) die massive Kritik an einem Tweet Markus Söders nicht verstanden. Ich mag den Typ und seine Partei auch nicht, aber dass Menschen so denken, finde ich nicht unverständlich und weder rechts noch fremdenfeindlich.

Vielleicht auch einfach mal verstehen, dass das Glauben an eine Religion nicht zwanghaft zu Mord und Totschlag, wissenschaftsleugnender Verdummung und blindem Glauben an heilige Schriften führt. Vielleicht mal selber drüber nachdenken, dass die eigene „Ein-Grund-Kausalkette“ irgendwie nicht ganz plausibel ist und dass man wegen des eigenen Bretts vorm Kopf nur ein Gift und Galle in die Netzwerke spuckt. Was da los wäre, wenn jemand nun die Killerspieledebatte ausgrübe, aber Religion lässt sich gerade so schön bashen, da haut man gerne nochmal drauf!

Am Ende werden alle verlieren. Die Terror-Organisationen ziehen immer mehr militärische Aufmerksamkeit auf sich; ich rate nun einmal, dass Frankreich seinen Einsatz gegen den IS verstärken wird. Partner werden miteinbezogen. Das kostet, Krieg auf Jahre hinweg. Die sogenannten Sicherheitsmaßnahmen werden verstärkt werden, die VDS wird erweitert, die Geheimdienste ihre Aktivitäten verstärken. Bürgerrechte werden beschnitten werden und das Klima in den europäisch-demokratischen Ländern wird sich weiterhin verschlechtern. Die Toleranz wird leiden, das Misstrauen gegen Muslime weiter wachsen und hasserfüllte Feiglinge weiterhin schwangere Frauen zusammentreten, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben.

Traurig, dass so wenig so viel bewirken kann.

 

Feindbilder überwinden

Heute morgen Leserbriefe des sonntäglichen Werbeblattes zum Thema „Gehört der Islam zu Deutschland“ gelesen, vorwiegend ablehnend und in der typischen „Ich habe ja nichts gegen den Islam, aber …“-Manier. Die üblichen Verdächtigen, wie die Verbreitung durch das Schwert, Burkas und Steinigungen,  kommen darin ebenso vor wie das erstaunliche Verständnis, dass eine Verächtlichmachung Jesus‘ auch als äußerst empörend empfunden werde. (Dabei ist es doch ausgerechnet die Verächtlichmachung Jesus‘ durch die römischen Soldaten, die das „christliche Abendland“ jeden Sonntag liest und predigt.)  Eine Exportnation  könne in einem Staat nach islamischen Muster nicht funktionieren und ich frage mich, ob der Autor das Öl, das er da ins Feuer gießt, wohl nur aus amerikanischen Quellen bezieht?

Da schüttelt’s den gebeutelten Leserbriefleser und ich verweise auf einen Podcast von SWR Aula mit dem Titel „Warum wir das Feindbild Islam überwinden müssen“. Früher hätte ich „Hörbefehl“ dahinter geschrieben. Die Professorin Katajun Amirpur erklärt sehr sachlich, aber auch mit einer gehörigen Portion Enttäuschung, warum der Islam nicht zum europäischen Feindbild taugen kann. So verweist sie zum Beispiel auf einen an die IS-Führer gerichteten  Brief von 120 durchaus konservativen islamischen Gelehrten, welche darin klarstellen, dass der sogenannte Islamische Staat „rundherum barbarisch und unislamisch“ handelt, der aber im Mainstream der deutschen Medien anscheinend kaum rezipiert wurde.

Amirpur zeigt weiterhin auf, dass ausgerechnet Islamisten und Islamgegner sich im Sinne einer falschen Koranauslegung sehr nahe stehen: „Surenpingpong“ nennt sie deren Methode der Auslegung; jede Seite sucht sich das, was sie gerade als für passend erachtet. Dabei werden historischer Kontext und bisherige Deutungen ignoriert, die Missdeutungen prägen aber dafür umso stärker das Bild des Islam in unseren Köpfen, denn eben diese Koranfetzen  bleiben im kollektiven Gedächtnis, was man nicht zuletzt an den Leserbriefen unseres Bielefelder Werbeblättchens erkennt.

Literarischer Untergang des Abendlandes und Renaissance des Islam

Ha! Mein Houellebecq ist endlich angekommen. Dann lassen wir’s heute Abend mal richtig krachen und das Abendland in Bausch und Bogen untergehen!

Lese nebenher gerade zwei Einführungen in den Islam und ich versuche, mich ein wenig schlauer als vorher zu machen, was den Islam und seine Geschichte angeht. Da kommt mir der heutige Kommentar in der Süddeutschen „Der Islam braucht eine kritikfähige Rennaissance“ gerade recht. Der Theologe Abdel-Hakim Ourghi versucht, „das Phänomen der Gewalt“ des Islam aus historischer Perspektive zu erklären und fordert:

Heute ist es dringend nötig, mithilfe einer rationalen Lesart der islamischen Gewalt dem Zusammenhang zwischen islamischem Monotheismus und politisch motivierter Gewalt in ihrem historischen Kontext nachzuspüren. Das Erinnern an das Phänomen der Gewalt im Islam kann so zur Grundlage für einen Prozess kritisch-reflektierender Aufklärung werden, die in einen Diskurs über die Verpflichtung auf ein friedfertiges Miteinander der Religionen münden sollte. (Quelle)

Ohne Innenperspektive kann man das natürlich kaum beurteilen, aber zumindest scheint es so, als würde nun einiges an Bewegung in den Diskurs über den Islam kommen – und das auch öffentlich von muslimischer Seite. Dabei muss es den Muslimen weitaus schwerer fallen, diesen Diskurs zu führen, denn es gibt im Islam keine mit der christlichen Kirche vergleichbare Instanz, die theologische Urteile fällen könnte und anscheinend ist der Islam weitaus interpretationsbedürftiger als man es sich gemeinhin vorstellt.

Währenddessen sprießen die Berichte über Aktionen gegen Islamisten und die Reportagen über Syrienheimkehrer wie Pilze aus dem Boden. Der Terror verkauft sich gut, und das spielt auch Houellebecq (ha – muss gar nicht mehr abgucken, wie man’s schreibt) in die Karten, den ich mir jetzt zu Gemüte führen werde. Freue mich auf ein spannendes Gedankenexperiment.

« Ältere Beiträge

© 2024 Hokeys Blog

Theme von Anders NorénHoch ↑