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Isch 'abe gar kein Untertitel...

Langfristig nicht mehr als 4%

„… denn Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Stromverbrauchs decken.“ (Angela Merkel im Solarbrief 1/97 Seite 35 vom 24.03.199, zitiert nach www.sfv.de)

Zugegebenermaßen ist das lange her, aber in meine Definition von „langfristig“ passt das schon: „Rekord: 58 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien“ (Heise.de).

Toto im Glubschaugenblick

Mein Verhältnis zu Toto ist wechselhaft: Nachdem mir Songs wie „Rosanna“ oder „Africa“ wirklich lange Zeit sehr zum Hals heraushingen, weil sie jeden Tag im Radio rauf- und runtergenudelt worden waren, fiel mir aber – dank Spotify – irgendwann auf, was für eine fantastische Live-Band Toto sind. Als Gitarrist war mir schon lange klar, dass Steve Lukather zu den ganz Großen in der Gitarrenwelt gehört und sich vor den noch prominenteren Namen nicht zu verstecken braucht. Als dann klar war, dass Toto nur ca. 45 Fahrminuten entfernt ein Konzert geben würde, waren die Karten schnell bestellt.
Und so fanden wir uns im beschaulichen Büren (126 Einwohner pro km² im Paderborner Land wieder. Open-Air bei bestem Wetter vor einer, in einem Kuh-Kaff, unerwartet großen Stage! 6.600 Menschen sollten Platz davor finden.

Um uns herum überwiegend Menschen Ü50. Logisch, Totos große Zeit war in den 80ern. Das weiß man, das will man. Zumindest die meisten, aber nicht alle…

Während wir bei angenehmen Sonnenschein etwas weiter entfernt von der Bühne warteten, der Spaß soll ja den harten Toto-Fans gegönnt sein, sammelte sich direkt vor uns ein kleines Trüppchen des lokalen Schützen- oder Kegelclubs, wie wir vermuteten: Eine etwa zehnköpfige Ehepärchen-Gruppe mit etwas zu aufgesetzt guter Laune, lockerer Sommerkleidung und viel zu viel Gesprächsbedarf.

Diese Grand Dames und Seigneurs versammelten sich zum Stelldichein, diesmal nicht wie gewohnt vor der Bürener Bundeskegelbahn, sondern leider in meinem unmittelbaren Sicht- und Hörfeld; dummerweise hatte ich diese Gefahr zuvor falsch eingeschätzt, weil ich in meiner Naivität davon ausgegangen war, dass Menschen meines Alters+15 Jahre (wie wir später beim Fotografieren auf Birgittes Ausweis lesen konnten), gerne Toto hören und sich auf Konzerten angemessen verhalten können. Doch weit gefehlt!

So standen sie, nachdem sie sich endlich alle mit einem Riesen-Hallo häppchenweise gefunden hatten, da im Pulk direkt vor mir: ein grauhaariger Friedrich-Merz-Verschnitt, Tränensack-Marie, Metty, Klapphüllen-Birgit, Pläten-Peter und wer auch immer noch. Sozial geduldet war Kreisfilm-Ralle, der durch sein olivgrünes Käppi und sein fehlplatziertes Grienen etwas aus der Reihe fiel, aber gruppendynamisch hingenommen wurde und etwa jede acht Minuten einmal alles im Kreis abfilmen musste. Mitten im Hauptact, mit 30 Minuten Verspätung, komplettierte dann Sylt-Stefan (Zahnarzt) – auch unter großem „Hallo!“ – die Runde mit seinem um die Schultern gelegten grünen Kapuzenpulli und seiner überschminkten ehemaligen Zahnarzthelferin Silke.

Nachdem Birgit, Uschi und Cordula mir schon in den ersten dreißig Minuten mit ihrem lauten Gegacker und Ihrem sich Angebrülle auf die Nerven gegangen waren (wer hätte auch ahnen können, dass jemand das stille Piano-Solo hören möchte?) schaffte Zahnseiden-Silke es dann endlich, Hahnenkamm-Helga abzuziehen und in ein Gespräch weiter vorne zu verwickeln. Glubschaugenblick-Metchhild ließ sich vom Bühnenlärm beim Labern nicht stören und machte dann und wann ein Foto für Facebook und WhatsApp, damit alle sehen, dass sie auf einem ganz tollen Konzert war. Währenddessen stank es nach Penaten-Creme.

Wie scheißegal den Cordulas und Bärbels das Konzert war, sah man daran, dass sie permanent mit dem Rücken zur Band standen und sich gegenseitig ins Ohr schrieen. Meine Smartwatch warnte mich binnen kürzester Zeit vor dem hohen Schallpegel, Annegret übertrumpfte die +90 Dezibel aus der wieviel-tausend-Watt-PA mit ihrem schützenfestgestählten Stimmorgan direkt am Ohr ihrer Kaffeeklatschopfer. Während also Steve Lukather seine fantastischen Solos spielte, plauschten die Damen und Herren munter miteinander, als spielte die Schülerband der Bürener Musikschulgruppe, und dass da vorne sieben Top-Musiker (alles Nashville-erfahrene Haudegen) ihr Bestes gaben, interessierte die Saufgemeinschaft nicht einmal bei mitsingbaren Hits wie „Pamela“.

Apropos Saufgemeinschaft: Der Bierverbrauch der Truppe hätte selbst die durstigsten aller schottischen Fangruppen erblassen lassen. Jedoch trank man nicht aus Durst, sondern weil es so muss! Sozialer Druck aka Gruppenzwang nötigte der Kegeltruppe das Bier in den sprechdiarrhoegeplagten Schlund, denn Mechthild-Annegret-Barbara hatten das eiserne Schützenfestgesetz verinnerlicht: Wenn einer eine Runde gibt, müssen alle eine Runde geben, sonst bist du morgen das Dorfgespräch! Also taperten Anneliese-Peter-Britta-Bärbel im Zehn-Minuten-Takt los und kamen mit einem dutzend Becher bepackt wieder, bis Frank-Michael-Ulla-Rainer-Cordula gar nicht mehr wussten, wohin mit all dem Bier und all den vollen Bechern, denn: wir waren ja auf einem KONZERT und nicht in einem Bierzelt mit Tisch und Stühlen! Wat mut, dat mut und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, also exte die Schützengemeinschaft ihr Bier brav weg, sodass der Gerechtigkeit Genüge getan war.

Und wo man es gewöhnt ist, dass der DJ auch bierbenebelten Bürenern leichtverständliche Ansagen macht („Und jetzt: Ich bin so schön… ich bin so toll…“), kamen die Ansagen der Band ärgerlicherweise auf Englisch! Friedrich-Merz-Matthias fand sich dabei lustig, den vermeintlich unverständlichen amerikanischen Slang zu imitieren und sich über das Genuschel Steve Lukathers zu mokieren. Hätte er mal weniger Facebook und mehr YouTube konsumiert…

… dann hätte er vielleicht verstanden, dass einer der besten Songs des Abends aus seinem Geburtsjahr stammt: Little Wing von Jimi Hendrix. Und ich habe bei dem anwesenden Publikum nicht weniger als Ekstase erwartet, weil das wirklich einer der besten Songs aller Zeiten ist… aber bei Paderborn… ist das… noch nicht angekommen. Und der Sänger von Toto ist wirklich ein unfassbar guter Live-Sänger, wie Lukather ein unfassbar guter Gitarrist ist, aber das interessierte die Kegelschwestern und -brüder wenig. Sie brüllten sich weiter gegenseitig in ihre Ohren und fanden sich ganz toll.

Ich hoffe, sie sind heute alle schwer heiser.

Kaum erwähnenswert, aber hinter uns blockierte den Fluchtweg vor dem Kegelclub eine Konzertgängerin, die sich in der Kunst der erweiterten Beckenbodengymnastik übte und in hinduistisch anmutenden Tanzbewegungen einer Göttin mit vielen Armen gleich ihrer Begeisterung für Toto Ausdruck verlieh.

Ich freu mich aufs nächste Metal-Konzert im Oktober. Da treffen wir wieder auf gesittetes Publikum!

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