Isch 'abe gar kein Untertitel...

Die Familie der Koch-Mehrin

Wenn man so mitten im Leben steht, dann weiß man auch, wie eine richtig "fitte" Familie heutzutage auszusehen hat. Zumindest für FDP-Vorzeigefrau Silvana Koch-Mehrin ist die Sache offensichtlich ziemlich klar. Liebe Frau Koch-Mehrin, im Prinzip ist Ihre Vorstellung ja ganz hübsch:

Wir [sie meint sich und ihren Mann, Anm.H.] wollen zudem Zeit haben für unsere Kinder, uns fortbilden, umorientieren oder eine Weile aussteigen. Das heißt für eine moderne Familie: Beide gehen ihren Jobs nach, beide müssen sich zuhause um alles kümmern können und ein Kind länger versorgen und unterhalten als ein Viertelstündchen. Solche Familien werden fitter sein für die Zukunft.

Das ist alles durchaus erstrebenswert und löblich. Finde ich gut. Daumen hoch! Ohne Ironie, Frau Koch-Mehrin. Alles kein Problem – wenn man denn endlich im Europaparlament sitzt. Und der Mann Anwalt ist. Ich schlage Ihnen vor, wir beide machen einmal ein Gedankenexperiment für FDP-Politiker, aber auch andere Politiker sind gerne eingeladen, mitzumachen. Wir stellen uns vor, wir würden in einer ganz anderen Welt leben. In einer Welt, in der die Eltern nicht mehr als einen, nennen wir es der Fantasie halber: Volksschulabschluss haben. In einer Welt, in der die Kinder dieser Eltern schlechte Chancen haben, selber mehr als diesen Abschluss zu erreichen. In einer Welt, in der derartige Kinder selten die Gelegenheit haben, den Beruf des Anwalts zu ergreifen oder, geschmückt mit einem Doktortitel, für eine Partei ins Felde zu ziehen.

Eine fremde Welt, nicht wahr, Frau Koch-Mehrin? Eine kalte Welt… Stellen wir uns weiterhin vor, der Vater ist nicht Anwalt, Lehrer, Arzt oder ähnlich Akademisches, sondern – sie merken, unsere Fantasie treibt wilde Blüten – er malocht als Schichtarbeiter. Im Dreischichtsystem. Wissen Sie, was das ist? Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht, Freiwoche. Diese Art der Arbeit, ist ziemlich anstrengend. Sie werden jetzt einwenden, sie hätten auch ihre 60-70 Stunden-Woche und manchmal auch mehr. Ich sage Ihnen: zehn Stunden bei dieser Form der Arbeit und auch sie sind fertig. Kaputt. Ausgelaugt. Nicht umsonst gibt es da diese ominöse "Freiwoche". Die Kinder sehen ihren Vater kaum, der muss entweder arbeiten oder ausruhen und in den Wochen, in denen er Nachtschicht hat, reduziert sich die Kindeserziehung auf einen einzigen großartigen Satz: "Pssst! Seid doch still, Papa muss sich ausruh'n!" Denn der ist völlig am Ende, weil er die ganze Nacht durchgeknüppelt hat und tagsüber den Schlaf nachholen muss.

Die Mutter kümmert sich hauptsächlich um die Kinder, gewiss mehr als ein "Vierteslstündchen", da der Vater nicht sehr viel Zeit hat und die Kinder in Kombination mit dem Schichtdienst ihr wenig Spielraum für eigene Arbeit lassen. Dafür verdient er aber hinreichend Geld, um die Familie mit allem zu versorgen. Wir können dieses Experiment jetzt unendlich weiterspinnen, mit allen erdenklichen Variationen, wie Unfall, Arbeitslosigkeit, etc. Aber wir belassen es erst einmal dabei. Stellen wir uns vor, es gäbe tatsächlich solche eigenartigen Familien. Und jetzt versuchen wir mal, Ihr "fittes" Konzept auf diese Familienform zu übertragen.

Zum Beispiel "mal eben aussteigen". Bitte? Wer jetzt? Vater oder Mutter? Vater! Never ever! Selbstmord! Wenn der Vater aufhört, sich den Rücken krummzubuckeln kommt kein Einkommen mehr. Dann ist Ende für die Familie! Das wäre betriebswirtschaftlicher Unfug. Muss ich Ihnen das erklären? Und die Mutter? "Aussteigen"? Woraus? Aus der Familie? Das nennt man "Kur", wird nur ungerne ohne triftigen Grund von den Krankenkassen bezahlt und stellt die kleine Familie eines Schichtarbeiters vor halbwegs unlösbare Probleme…und mehr als drei Wochen sind eh' nicht drin.

Gleiches gilt für so positiv klingende Vorschläge wie "umorientieren" oder "fortbilden". Das ist prima! Umorientieren? Na wohin denn? Allenthalben winkt die Arbeitslosigkeit für unseren Schichtarbeiter – der ist froh, dass er einen Job hat! Umorientieren… das können Akademiker oder Parteisoldaten mit guten Beziehungen, aber der Rest der Gesellschaft ist glücklich, wenn er einen Platz in einem VHS-Kurs findet! Und lediglich "umorientieren" aus Spaß an der Freude, macht doch nun wirklich niemand. "Umorientieren" als Wert an sich: das funktioniert nicht, Frau Koch-Mehrin.

So schade es ist, Ihr "Familienmodell" funktioniert leider nur mit AkademikerInnen oder Menschen, die es sich leisten können. Ihr Etikett "moderne Familie" ist nichts weiter, als das Ziel aller Träume der neoliberalen FDP-Jünger. Für die mögen all diese Attribute gelten. Aber vergessen wir nicht, dass das Gros der Menschen in Deutschland diesem heroischen FDP-Idealmaß nicht entspricht, dass es nur ein Modell für die oberen Zehntausen ist. Die ihr Geld nicht zuletzt auf den zerschundenen Rücken, den müden Armen und den kaputten Knochen der unmoderenen und unflexiblen Schichtarbeiter und deren Familien erwirtschaftet haben.

Abschließend bleibt mir nur der Griff an den Kopf und die Frage, wie um Himmels willen Sie auf die Idee kommen, Sie wüssten, was die Menschen bewegt. Verdrängung? Oder Scheuklappendenken, frei nach dem Motto, was nicht darf, das soll nicht? Ich schlage Ihnen und Ihren Parteikollegen vor, von den rosa heile Welt-Wölkchen herunterzukommen und ihre Beine wieder auf festen, deutschen Boden zu stellen. Vielleicht fällt es mir dann nicht mehr so leicht, mir zu wünschen, dass die FDP bei den nächsten Wahlen die 5%-Hürde nicht mehr packt. Gott, das wäre herrlich – ganz gleich, wer dann den/die BundeskanzlerIn stellt.

3 Kommentare

  1. Peter

    Sauberer Kommentar im Focus-Blog!

    Die Arroganz unserer Politiker, auch einer Koch-Mehrin, ist für mich untragbar geworden. Das ganze Verhalten übrigens auch, was sich in solchen Außerungen widerspiegelt:

    Bei einer Wahlkampfveranstaltung:
    ‚ein attraktives Aussehen kein Hinderungsgrund für eine Karriere sein darf“‚.

    Und im Stern-Interview:
    Ein gutes Aussehen für Männer und Frauen von Vorteil. ‚Man wird eher wahrgenommen, und in der Politik geht es nun mal um Wahrnehmung. Sichtbarkeit ist zentral‘. Über sich selbst sagt sie, sie habe die ‚Mitgabe, dass ich für eine Frau ungewöhnlich groß bin und dass ich relativ gut aussehe. Es wäre dumm, das nicht einzusetzen‘. In Deutschland täten die Frauen sich jedoch schwer, ‚optische Erotik‘ einzusetzen. ‚Wenn Frauen die Macht wollen und ausspielen, kommt gleich ein vorwurfsvoller Unterton.‘

    Also Eitelkeit, Selbstüberschätzung, Machtgier und Instrumentalisierungen.
    Davon unterscheidet eine Koch-Mehrin sich nicht von den jetztigen Amtsträgern in unserer Regierung, die sie selber ablösen will.

  2. hokey

    Stimmt. Obwohl mir diese Realitätsferne wirklich Angst macht. Wie sollen solche Menschen vernünftige Entscheidungen treffen können, wenn sie die Lebensumstände der „normalen“ Menschen offensichtlich überhaupt nicht kennen und sich ihre heile Welt zurecht fantasieren.

  3. EDV

    Neueste Bloggertrends
    Damals, ja damals, war es schon etwas besonderes zu bloggen. Damit holt man heutzutage natürlich keinen Hund mehr hinter den Ofen hervor, also müssen härtere Sachen her wie z.B. Vodca-sting, äh Vodcasting. Das ganze erinnert mich an Video-Telefonie, d

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