„Ambiguitätstoleranz“ – das hatte ich mir mal auf die Fahne geschrieben, sollte mir zum geflügelten Wort werden. Und wenn nicht jetzt, wann dann? Es ist frappierend, wie schnell die Stimmung in unserer Republik so deutlich in eine pro-bellizistische umschlagen konnte und dieser Umstand lässt erahnen, dass wir es mit Urteilen über Menschen und Gesellschaften unserer Vergangenheit immer vorsichtig sein sollten. Die warnenden, vorsichtigen Stimmen bekommen in diesen Tagen heftigen Gegenwind, werden gar als „fünfte Kolonne Russlands“ beschimpft – ironischerweise im gleichen Duktus, dessen sich der russische Diktator befleißigt. Gleichzeitig setzen sich Menschen für kriegerische Aktivitäten ein, denen man das bislang nicht in dieser atemraubenden Geschwindigkeit zugetraut hätte, namentlich die Führungsriege der Grünen. Und diese gesellschaftliche Spaltung zieht sich quer durch die Bundesregierung, in der der abwartende Scholz mit seiner SPD öffentlich zur Vorsicht rät, während die kleinen Koalitionspartner gewaltig Druck aufbauen, um den Kanzler zur Lieferung schwerer Waffen zu motivieren. Wessen Haltung ist nun die richtige?

Und während in den sozialen Netzwerken Millionen kleiner Generalfeldmarschälle und Pazifisten schäumend zu wissen vorgeben, was nun der einzig richtige Weg ist, sehe ich nur Ambiguität: Alle haben recht. Mit noch mehr Waffenlieferungen wird keine Kampfhandlung gestoppt, schlimmstenfalls müssen wir uns darauf einstellen, dass der Krieg sich verschlimmert, gar auf die NATO ausweitet und schlimmstenfalls Atomwaffen zum Einsatz kommen. Gleichzeitig werden in der Ukraine alleine aus imperialistisch-nationalistischen Motiven heraus tausende Zivilisten ermordet und Städte dem Erdboden gleichgemacht. Die Planungen Putins erschöpfen sich anscheinend nicht alleine in der Eroberung des Meereszugangs über die Ostukraine, sondern erstrecken sich auch auf Gebiete in Moldau, dem Baltikum oder Polen, immer mit dem Vorschub, die bedauerliche, unterdrückte russische Bevölkerungsminderheit schützen zu müssen. Schaut man dann in die Geschichte und betrachtet die Appeasement-Politik vor dem Zweiten Weltkrieg, dann sieht man, dass diese angesichts eines fanatischen Kriegstreibers keinen Krieg verhindert hat. Es ist darum verständlich, dass deutliche wirtschaftliche, aber auch militärische Stopp-Signale gesetzt werden müssen. Dass Kiew noch steht, mag eine Folge dieser Unterstützung sein.

Wer hat nun recht? Jeder? Niemand? Wir werden es erst in Zukunft wissen.