Isch 'abe gar kein Untertitel...

„Gesellschaftlicher Rand“ im Spiegel

Böhse Onkelz und Mainstreammedien – das klappt einfach nicht. Die Realität ist den Redakteuren meist zu komplex, zu groß, zu schwierig. So auch im aktuellen Spon-Interview mit (Ex-)Böhse Onkelz-Frontmann Stefan Weidner. Böhse Onkelz und Mainstreammedien – da kommt es immer zum Kurzschluss und das Schlimme ist: Ich werde gleich mitverunglimpft.

Okay, dass man die Musik der Onkelz als "Prollrock" bezeichnet – geschenkt. Die Texte strotzen wahrlich nicht vor Sentenzen, die man in eine feierliche Rede zum Abgang Stefan Austs einweben möchte, aber man muss auch nicht so tun als seien Onkelz-Texte sinnentleert. Dass mich Philip Oehmke allerdings zum "Rand der Gesellschaft (…) im Prä-Hartz-IV-Schröder-Deutschland" zählt, nehme ich ihm übel. Offensichtlich hat Oehmke keine Ahnung, aus welchen gesellschaftlichen Schichten sich die Onkelz-Hörerschaft zusammensetzt.

Er hätte eigentlich selber drauf kommen können, beschreibt er doch höchstselbst die Erfolge der umstrittenen Band aus Frankfurt:

als Weidner und die Böhsen Onkelz mit ihren wütenden Liedern ab den neunziger Jahren plötzlich sieben Nummer-Eins-Hits sowie mehrere Millionen verkaufte Platten vorweisen konnte, musste man ihn vielleicht doch ernst nehmen. (spon)

Dass der gesellschaftliche Abschaum alleine imstande sein soll, mehrere Millionen Platten zu kaufen und die Charts zu definieren, verursacht Kopfschmerzen. Aber nicht bei Qualitätsjournalisten, die Vorurteile in die Welt blasen wollen oder müssen.

"Der Rand der Gesellschaft" – das ärgert mich, dass mich Oehmke da aufgrund meiner musikalischen Präferenz hineinsortieren will. Klar muss man sich als braver Bildungsbürger erst von den Onkelz distanzieren, sich selbst legitimieren, bevor man zum Interview mit einem Bandmitglied übergeht, aber muss man dafür gleich alle Hörer zum "Rand der Gesellschaft" rechnen?

Was ist meinen alten Onkelz-Kumpels? Zum Beispiel mit dem jungen Mann, aus dem ein Broker werden sollte? Ist der gesellschaftlicher Rand? Was mit der jungen Dame, die heute vor ihrem Jura-Examen steht? Was mit Waldi, der schon früh zu den Julis ging und den ich dann im Rahmen seines Wirtschaftsstudiums aus den Augen verlor? Was ist mit den ganzen Lehramts- und BWL-Studenten, die auf einer Party sämtliche Onkelz-Songs mitsingen konnten? Was ist mit mir, der ich heute friedlich linksliberal mein Referendariat absolviere? Und was mit den jungen Menschen, die heute in einer durchaus konservativen Bildungstätte vor mir sitzen und von denen einige "Onkelz" auf ihre Federmäppchen gekritzelt haben?

Und dann wundert sich Oehmke, dass Weidner ihm mit großer Skepsis gegenübertritt. Ich habe die Onkelz schon jahrelang nicht mehr gehört, aber ich denke, heute wird es wieder einmal Zeit. Nach Lesen dieses vorurteilstriefenden Oehmke-Pamphlets wird einmal mehr deutlich, dass Onkelz-Texte zwar prollig, aber oft auch treffsicher sind und ich weiß schon, was ich mir gleich anhören sollte:

Du hast Dich nie informiert, nie Deinen Auftrag erfüllt,
mich mit Scheisse beschmiert, immer als erster gebrüllt!
Doch ich bin zäher, als Du dachtest, ich gedeihe im Dreck, ich bin härter als hart, mich wischt man nicht weg!
(Meister der Lügen, Eins)

Dass Oehmke auch mich mit Scheiße beschmiert, ärgert mich immer noch.

7 Kommentare

  1. Guido Neumann

    Hallo,

    da kann ich Ihnen nur zustimmen. Ich selbst habe seit einigen Monaten mein Diplom in der Tasche und viele meiner ehemaligen Kommiltonen konnten viele der Texte mitsingen. Danke für diesen ehrlichen Beitrag. Onkelz als Unterschichtenphänomen abzutun ist zu wenig, zu einfach.

  2. Hokey

    Mir fällt gerade auf, dass ich besser „Abschied“ statt „Abgang Stefan Austs“ geschrieben hätte. So ist es leicht misszuverstehen; ich bin zwar kein Aust-Fan, aber den Tod wünsche ich ihm nicht an den Hals.

  3. Batti

    So lange wie ich dich schon kenne, bleibt mir das echt ein Rätsel.

    Ich stell dir die Frage mal etwas anders.
    Du beginnst die Argumentation in etwa immer dort, wo du sagst, dass du nicht so bist, wie die breite Masse an Fans beschrieben wird und daher kann das alles so auch nicht richtig stimmen.

    Das kann ich sogar für dich persönlich bestätigen!

    Jetzt drehen wir es mal kritisch um:
    Wieso gelingt es dann dieser Band trotzdem DICH anzusprechen?

  4. Hokey

    Boooah… dazu bedürfte es eines eigenen Beitrags… eine ziemlich langen vermutlich… vielleicht am Wochenende… Bausteine dazu spuken mir schon länger im Kopf herum…

  5. Batti

    Ich wärms noch mal auf, da ich die Frage schon interessant finde.

    Wobei ich eigentlich mehr darauf hoffe, dass du dir selbst Gedanken machst, als dass man das ins Internet posauenen müsste 😉

    Onkelz sind eben nicht nur Musik… und der Rest passt so gar nicht zu deiner Weltanschauung und deinen Einstellungen.
    Wie du die „Brücke“ schlagen willst, schauen wir mal.

    Und komm mir nicht mit: „Weil du als Hörer nicht rechts bist…“
    Bei Lidl beschwerst du dich über weitaus kleinere Ungerechtigkeiten!

  6. Hokey

    Das Thema trage ich schon lange mit mir rum, aber gerade ist leider wenig Zeit für ausschweifende Blogbeiträge. 🙁

    Kommt aber noch. Und die Gedanken kann ich gerne ins Internet posaunen, denn sie passen genau in mein Weltbild. 😉

  7. Hokey

    Jaja… bald… blad… 😉

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