Zwei schöne Jahre lang habe ich in einem winzigen Zimmer in einer Vier-Mann-WG im Bielefelder Westen gewohnt und dabei die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt. Zum Beispiel Tom aus dem Zimmer gegenüber unserer Gemeinschaftsküche, der vergeblich ein polnisches Mädchen liebte und für seine schwarzhaarige Schönheit immer wieder lange Busreisen nach Polen auf sich nahm, es irgendwann einsah, ein tolles Examen machte und heute bestimmt Grundschuldirektor ist. Oder mein direkter Zimmernachbar, ein ein wenig verschrobener Eigenbrödler, der stundenlang in germanischen Langzeilen schmökern konnte, durchaus auch der Fantasy-Welt zugeneigt war und der mir einige Jahre später mitten in der Cafeteria ziemlich laut einen Selbstmordversuch beichtete.

Und dann waren da noch Nui und Mohammed. Nui kam aus Thailand, genauer gesagt aus Bangkok und sie konnte in den ersten Wochen kaum schlafen, weil Bielefeld ihr viel zu leise war. Obwohl unser WG-Flur wirklich nicht besonders breit war, stellte sie immer ihre Schuhe vor die Tür. Als einmal ihre Mutter und ihre Schwester zu Besuch waren, musste man über eine ganze Armada winziger Puppenschuhe steigen. Wenn sie für uns alle kochte, trieb die Schärfe ihre Nüsse uns die Tränen in die Augen, und ich sah zum ersten Mal in meinem Leben einen Reiskocher.

Mohammed kam recht spät in unsere Wohngemeinschaft und er blieb nur kurz. Er promovierte in Pädagogik und wollte das deutsche und das ägyptische Schulsystem miteinander vergleichen. Trotz PISA. In seinem Zimmer hing eine Sattelitenschüssel, mit welcher er arabische Fernsehsender, damals war Al Dschasira noch nicht in aller Munde, gucken konnte. Auch Mohammed kochte für uns und seine Weinblattröllchen waren unübertroffen. Seit dem 11. September 2001 frage ich mich immer wieder, was die beiden wohl gerade machen und wie es ihnen geht. Ob Mohammed auf dem Tahir-Platz demonstriert hat, ob er Mubarak unterstützte? Wie steht er zur Rolle der USA und was hält er von den Taliban? Was sagt er zum 11. September? Und Nui? Was macht Nui heute, wenn ihre Regierung in ihrer Heimatstadt bedroht wird? Auf welcher Seite steht sie und steht sie vielleicht selbst auf der Straße und kämpft für oder gegen irgendwas? Trägt sie ein Schwarzhemd oder ein Rothemd, fühlt sie sich verfolgt oder fordert sie den Umsturz? Leben sie überhaupt in ihren Ländern oder arbeiten sie irgendwo auf der Welt, leben in Saus und Braus oder quälen sich durchs Exil?

Eigentlich schade, dass Soziale Netzwerke damals noch nicht en vogue waren. Ich würde sie alle gerne noch mal wiedertreffen.