verbreitet Frau Schavan in einem Interview mit der „Welt“, welches die CDU nur zu gerne auf ihrer Homepage veröffentlicht. Welch Wunder…

Im Kern dreht sich das Interview, verknüpft mit den neuesten PISA-Ergebnissen, um die eigentliche Gretchenfrage des Bildungsystems. Nicht, was man tun kann, um die deutschen Schüler insgesamt besser zu fördern und die von Pisa-Forschern angemahnten Veränderungen zu bewirken wird diskutiert – nein – ob denn nun die SPD- oder CDU-regierten Bundesländer besser seien, steht im Mittelpunkt. Ein klassisches „Mein Förmchen“ -Interview.

Für Frau Schavan stellt sich auf die Frage des Welt-Interviewers nach dem Zusammenhang zwischen den sozio-ökonomischen Verhältnissen und dem „Bildungserfolg“ in der PISA-Studie 2003 heraus, dass

die neue Pisa-Studie zeigt, wie falsch diese These ist. Den größten Zuwachs an Leistung und Qualität verzeichnet Sachsen-Anhalt, das gleichzeitig 18,8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit hat. Der behauptete Zusammenhang und der damit verbundene Fatalismus im Blick auf das, was Bildung bewirken kann, ist jetzt wirklich widerlegt.

und

Die Linke mag nicht Abstand nehmen von den Ideen der 70er Jahre. Schauen Sie sich nur die Ergebnisse von Nordrhein-Westfalen an! Dieses Land hat besonders stark an den Gesamtschulen festgehalten und stagniert nun in seiner Entwicklung.

Ich gebe zu, es ist naiv von mir, zu glauben, dass eine „christlich“-„soziale“ Politikerin diesen Parteietiketten wirklich entspricht. Ein dahingehauchtes „So wahr mir Gott helfe“ macht leider noch keinen Christen. Und „sozial“ ist ein dehnbarer Begriff. Hat irgendwas mit „Gesellschaft“ zu tun und was das ist und wer dazu gehört, ist Ansichtssache. Denn einen Faktor hat Frau Schavan in ihrer Argumentation unterschlagen: den der Migration. Okay, sie ist Parteisoldatin der Partei, für die, mit Ausnahme von Heiner Geißler, Deutschland kein Einwanderungsland ist. Der Partei, bei der man während der Doppelpassdebatte auf den Marktplätzen gegen Ausländer unterschreiben konnte; die Partei, die „Kinder statt Inder“ proklamierte. Die Schavan, die das Kopftuchverbot für Musliminnen durchsetzte, die Schavan, die Kreuze aber weiterhin erlaubt. Die Schavan, die Migranten im Interview mal eben vergisst.

Und was sagt PISA dazu? Die Studie, die unabhängig weltweit von 41 Ländern bestritten wird?

Die Leistungsdifferenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sind in Deutschland sehr stark ausgeprägt; sie sind zu einem Teil auch auf Differenzen in der sozioökonomischen Lage zurückzuführen. Für Deutschland kann an dieser Stelle eine eher ungünstige Kombination von Chancengerechtigkeit und Kompetenzniveau festgestellt werden. Der internationale Vergleich belegt, dass es in einigen Staaten offensichtlich besser gelingt, Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Sozialgruppen zu einem sehr hohen Niveau mathematischer Kompetenz zu führen.

Hervorhebungen von mir.

Gewappnet mit diesen Erkenntnissen gucken wir uns jetzt die Ausländerquoten unter den 15-jährigen in NRW und Sachsen-Anhalt an (Daten vom 31.12.2003, im PISA-Jahr):

  • NRW: 13,1 % aller 15-jährigen haben Migrationshintergrund
  • S-A: 1,4% aller 15-jährigen haben Migrationshintergrund

(Quelle: Bock,R., Klemm K.: Gleichwertige Lebensverhältnisse, PDF, ca.1MB )

Nebenbei erwähnt liegt Sachsen-Anhalt trotz des guten Wachstums immer noch unter ferner Liefen.

Migranten zählen auf der schavanschen Rechnung also nicht. Die stören doch schon irgendwie die ganze Zeit. Da macht es doch viel mehr Spaß, gegen die Gleichmacherei der Sozis zu polemisieren.

Man kann es auch so sehen: Die Rechte mag nicht Abstand nehmen, von ihrer Idee des Sozialdarwinismus. Schauen Sie sich nur die Ergebnisse in Bayern an! Einsame Spitzenleistungen an den Gymnasien und trotzdem 20% der Migrantenkinder ohne Schulabschluss und 50.000 Schulversager pro Jahr. Dieses Land hat besonders stark an der Selektion festgehalten.

Ist aber nicht gut, diese Art zu diskutieren. Sie bringt weder Frau Schavan, noch sonst irgendwen voran. Am wenigsten die Kinder mit Migrationshintergrund, die sie gerne vergessen möchte. Und die anderen Schüler, die sich die unteren Plätze teilen. Vielleicht würde es helfen, sich die Ergebnisse von Pisa offen für Neuerungen anzugucken, nicht auf populistisch, parteipolitische Chiffren wie „die Schere zwischen Nord-Süd“ (SPD vs. CDU) oder „Ost-West“ (den Ossis auch mal was gönnen) hinzuweisen, sondern einfach mal pragmatisch dafür zu sorgen, dass auch Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten eine gute Schulbildung genießen dürfen und wir nicht mehr über irgendwelche soziale oder parteipolitische „Scheren“ Wahlkampf ertragen müssen. Es sollte auch in Frau Schavans Interesse sein, das Potenzial ihres Bundeslandes voll auszuschöpfen.